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Bibliaphilia

Posted on 20.12.2020

Nevernight konnte mich eigentlich schon mit dem ersten Abschnitt packen. Der derbe, schonungslose Schreibstil, die ironischen Kommentare des Erzählers und die schlagfertigen und humorvollen Dialoge sind einfach genau mein Ding. Ich war regelrecht begeistert vom ersten Kapitel, das wenn man seine Erzählstränge erstmal durchblickt hat, einfach nur genial aufgebaut ist. Die ausschweifenden Exkurse in den Fußnoten, die häufig mit einer humorvollen Pointe des Erzählers enden, haben mich zu Beginn auch noch amüsiert. Ich fand es mal eine interessante Idee, auf diese Weise Informationen über die Welt beizusteuern. Die Umsetzung hat mir dann aber besonders im ersten Drittel gar nicht gefallen. Um etwas über die interessante und komplexe Welt zu erfahren, muss man sich in den Fußnoten häufig im ausartenden Umfang durch Nichtigkeiten quälen und wird dabei auch in den unpassendsten Momenten aus der Handlung herausgerissen. Das ist schade, denn die Welt, die Jay Kristoff geschaffen hat, ist wirklich grandios. Sie erinnert nicht wenig an die römische Antike, ergänzt um fantastische und originelle Elemente – einen spannenden religiösen Konflikt zwischen Göttern, um das lange Fortbleiben der Nacht zu erklären, eine ausgerottet geglaubte Magie, die einen ungeheuren Preis abverlangt, sowie rätselhafte Dunkelinn und Schattenwesen. Mich hat umso mehr überzeugt, dass es auch für die Charaktere noch vieles unfassbar bleibt, was sich hinter Glaubensätzen und Legenden verbirgt. Ich bin schon neugierig darauf, wie die Reihe an Fragen, die sich Mia allmählich stellt, in den Folgebänden nach und nach beantwortet wird. Im Fokus der Handlung steht Mias Ausbildung zur Assassine, die ohne Frage schonungslos ehrlich brutal und blutig beschrieben wird. Ich mache mittlerweile eigentlich einen Bogen um Bücher, in denen die Protagonistin in einer geheimnisvollen Schule im Konkurrenzkampf mit Mitschülern unterrichtet wird, aber Mias Zeit in der Roten Kirche ist abwechslungsreich, spannend und nichts für schwache Nerven. Die unterschiedlichen Disziplinen und ihre eigenwilligen Meister sind eine interessante Mischung. Die Körperupgrades fand ich zunächst problematisch, aber das Aussehen eine Waffe ist, ist nun mal eine Tatsache, vor der man egal, wie man dazu steht, nicht die Augen verschließen sollte. Insgesamt blieben mir jedoch die Meister, insbesondere die „Verehrte Mutter“ und der düstere „Herr der Klingen“, bis zum Ende zu blass und undurchsichtig. In Mia habe ich mich hingegen genauso schnell Schockverliebt wie Tric. Um ihr Ziel zu erreichen opfert sie vieles, agiert berechnend, kalt und waghalsig, ihre Menschlichkeit gibt sie allerdings niemals auf, genauso wenig ihre Loyalität gegenüber Menschen, die ihr wichtig sind. Die Rückblicke zu den einschneidenden Ereignissen ihrer Vergangenheit haben sie mich nach und nach immer besser verstehen lassen. Aber auch einige Nebencharaktere, insbesondere Tric und Herr Freundlich, sind mir schnell sympathisch geworden und haben mich neugierig auf mehr gemacht. Nevernight ist alles in allem ein Auftaktband, der mit einem brutal ehrlichen, sarkastischen Schreibstil, interessanten Antihelden und einer faszinierenden Welt überzeugt, und sogar noch mehr für die Folgebände verspricht.

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