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Wordworld

Posted on 16.12.2020

"Well, you know, kind of like ... whatever" Sie haben mein Leben nachhaltig verändert - "Die Känguru - Werke" von Kleinkünstler Marc-Dieter Kling. Wie ihr schon in meinem Einleitungssatz sehen könnt, wurde ich nachhaltig mit Insiderwitzen infiziert und bin so abhängig von dieser Reihe geworden wie das Känguru von Schnapspralinen. "Die Känguru - Offenbarung" knüpft ununterbrochen an das Lachmuskelkater-Niveau der Vorgänger "Die Känguru - Chroniken" und "Das Känguru - Manifest" an und ist mein absoluter Favorit der Reihe. Wieder konnte ich angesichts der unglaublichen Situationen, die hier zustande kommen und des schonungslosen schwarzen Humors, nicht anders, als immer wieder aus tiefster Seele loslachen und damit äußerst skeptische Blicke meines Umfeldes auf mich zu ziehen. "Köpfchen in das Wasser, Schwänzchen in die Höh´" - CIA-Verhörmethode Nachdem das Känguru am Ende des letzten Teiles in einem ganz miesen Cliffhanger vom Ministerium für Produktivität abgeschoben wurde, ist es still und langweilig mit Leben von Kleinkün-, nein, Künstler Marc-Uwe. Doch gerade als seine Selbstgespräche schlimme Ausmaße annehmen, sein Psychiater seine Einsamkeit falsch zu deuten beginnt und "ain't no sunshine when it's gone" sein Lebensmotto wird, tauchen immer mehr Hinweise auf das Känguru auf. Ein ominöser Anruf, Anti-Terror-Anschläge des Asozialen Netzwerkes, korrigierte Graffitis, Schnapspralinen - Das Känguru taucht wieder aus dem Untergrund auf um die Grundfesten der Welt endgültig mit seiner endgültigen Offenbarung zu erschüttern! Neben rasanten Mau-Mau-Partien mit Krapotke, parodierte Diskussionen über Fantasyreihen wie "Die Wunderhure" von Wenzel R. R. Skowronek, "Der Riesenzwerg" oder "Die Welt ohne Eigenschaften", Nicht-Drogen-Trips bei "Transformers" auf zehnfacher Geschwindigkeit, philosophischen Diskussionen über die Frage, welches Geschlecht das Känguru hat und Ausführungen über die Phrase "man liebt es oder man hasst es" bereiten sich die beiden auf "die epische Schlacht zwischen Gut und Böse", Kommunismus und Kapitalismus, Schnapspralinen und Teewurst, Känguru und Pinguin vor. „Du riechst so gut." -Jean-Baptiste Grenouille Denn wo das Känguru doch einen gutartigen, kommunistischen Weltverbesserungsplan hat, muss der Pinguin als kosmischer Gegenspieler natürlich einen bösartigen, kapitalistischen Weltverschlechterungsplan haben. Und um diesen zu verhindern und rauszufinden, was der eiskalte Frackträger vorhat, müssen die beiden diesen erstmal finden. Die Spur des verräterischen Nachbars führt sie um die halbe Welt: in die USA, nach Venezuela, zur Hochburg der Lobbyisten in Brüssel, in die Heimat des Kängurus Vietnam, auf die ehemals griechische Insel Patmos, welche jetzt im Besitz der Firma ist, für die der Pinguin arbeitet, nach Australien und schließlich wieder nach Patmos. Vorbei an geschlossenen Schlecker-Filialen, neu geöffneten Starbucks-Läden und unterstützt von lokalen Mitgliedern der expandierenden Asozialen Netzwerkes kommen sie hinter die totale Weltverschwörung des Pinguins: der neue Controller der ganzen Welt will alles in einen gigantischen Flughafen verwandeln. "Dream a little dream of me." -Freddy Krueger Auf dem Weg trifft das ungleiche Paar unter anderem die alte Band des Kängurus "Kranken House" (früher "Die Kranken Schwestern", "Die abgezogenen Dielen", "Die Angestellten", "Die Probleme", "Die Schniepels", "Die Kräuter der Provinz", "Die Bäume"), die übermotivierte Touristin Sarah, den Vater des Kängurus, Ken der Guru, Die Känguru-Gang mit den innovativen Namen "Kevin, Howie, A.J., Nick und Brian" (so hat noch wirklich gar keine Gruppe geheißen... *hust Backstreet Boys hust*), den Erfolgsautor Wenzel R. R. Skowronek und etwas verblödete Sicherheitsmänner. Wieder mit dabei ist natürlich auch der selbst etwas gestörte Psychiater, Julia Müller ("haha, muh muh muh") und die Kategorie "Buch mit sprechendem Tier" ("Louie der lustige Leguan" von den Kindern der Kindertagesstätte "Sümpfe der Traurigkeit"), Spezialwörter wie "Ratzupaltuff" oder "Pentizikulös" und ganz neu: "Der Schredder". Auch Herta dürfen wir hier wieder treffen. Nachdem ihre Eckkneipe durch etliche andere Formate verdrängt wurde betreibt sie eine (illegale) Kneipe in ihrer Wohnung, die laut ihr nur eine kleine Privatparty mit Fremden ist und in der nichts etwas kostet, es allerdings eine Unkostenkasse des Vertrauens gibt. "I want you to want me. I need you to need me." - Angebot zur Nachfrage Die wechselnden Settings und Situationen bringen neuen Pepp in die Geschichte, die von der Situationskomik im Wohnzimmer immer mehr zum politischen Kabarett mit dystopischen Elementen und Gesellschaftskritik im globalen Stil wird. Neben den altbekannten Problemen wie gleichgeschaltete Medien (die Axel-Springer-Thematik), die Gentrifizierung, Angleichung und Verdrängung in Großstädten (Hertas Eckkneipe), der Rechtsruck und die zunehmende Salonfähigkeit von Populismus (Jörg und Jörn Dwigs), und die Verantwortungslosigkeit von Banken (Bad Banks) werden hier auch der unermesslichen Konsumwahn der Bevölkerung und die scheinbar grenzenlosen Machtbestrebungen der Großkonzerne und deren Einflussnahme in Politik und Gesellschaft aufgezeigt. Neben Hollywood, der Kirche, der amerikanischen Gesellschaft und deutschen Ämtern wird hier zunehmend das ganze System und der Kapitalismus an sich aufs Korn genommen, weshalb gewisse Grundkenntnisse in den Bereichen Politik, Geschichte und Wirtschaft Voraussetzung sind, um einige Witze und Anspielungen zu verstehen. "Wozu ist das?" "Das ist blaues Licht." "Und was macht es?" "Es leuchtet blau." -Deutsche Hochschule der Polizei Während der epischen Reise um die Welt sehen wir das Asoziale Netzwerk weiter wachsen, sind Teil neuer Anti-Terror-Anschläge, erfahren endlich mehr über die Vergangenheit des Kängurus beim Vietcong und selbst ein Anklang an eine Lovestory kommt vor. Wenn das nicht die perfekte Umsetzung eines finalen, fulminanten, dritten Teils ist? In der Tat ist der ganze Roman in der kompletten Konzeption eine einzige ironische Kritik an der Trilogie-Konzeption mit dem Zwang nach "Grandeur" - mehr, heftiger, größer, spannender, weiter, schneller. Wer kritisiert, dass sich Marc-Uwe Kling hier in seiner eigenen Geschichte verheddert hat, in dem er versucht hat, sein abschließender Band zu einer einzigen Steigerung zu machen, hat nicht verstanden, dass genau das eine absichtliche Kritik an der aktuellen Bücherlandschaft ist. Wo Trash-Trilogien den Büchermarkt überschwemmen, es gang und gebe ist, seine Protagonisten (zum Beispiel der Riesenzweg Ülf) mehrere Male sterben zu lassen und die Regel "drei oder sieben" für die Anzahl der Teile einer Reihe gilt, ist dieser letzte Teil mit seinen umfangreichen sechs CDs ein ironischer Fingerzeig. "ERSTE HEXE: “When shall we three meet again? ZWEITE HEXE: Puh. I’m so busy. Why don’t you call my office? DRITTE HEXE: I’m even busier. I have absofuckinglutely no time at all." Neben intelligenter Gesellschaftskritik gibt es jedoch wieder viele witzige falsch zugeordnete Zitate, Anspielungen auf bekannte Geschichten wie "Star Wars", "Herr der Ringe" und "Harry Potter" oder auch auf "Faust" oder Kafka, jede Menge Selbstironie und natürlich einfache Lebensweisheiten, die jeden Leser oder Hörer um Welten in der kognitiven Entwicklung weiterbringen. Für den, der nicht weiß worauf ich anspiele will ich kurz Herta zitieren: "Es gibt Solche und Solche. Und dann noch ganz andere. Und das sind die schlimmsten". Es gibt wieder poetische Gedichte, witzige Dialoge, ironische Fußnoten des Lektors und Live Musik von "Krankenhouse". Selbstverständlich nervt das Känguru den lieben Marc-Uwe auch hier wieder mit fiesen Wortverdrehungen, die man wirklich nicht mehr aus dem Kopf bekommt (Schankedön, Marc-Uwe!). Zu dem altbekannten Techniktourette gesellt sich bald Marc-Uwes Angewohnheit, Aussagen zu Liedzeilen zu vervollständigen (Welcome to - "The House of Fun"; Come with Me - "Aha! Yeah!"; Stop - "in the name of Love") oder seine Faszination zu einer App mit dramatischer Fanfare. Besonders nett ist auch wieder der laufende Wettbewerb des Kängurus und Marc-Uwes andere Menschen möglichst subtil zu beleidigen oder die geschickte Verwirrung des Lesers durch Vertauschen der Wörter "ironisch" und "erotisch", "aggressiv" und "attraktiv", "Problem" und "Ekzem". So kommen mal wieder vollkommen wirre und skurrile Situationen zustande, bei denen man oft nicht weiß, ob man sich totlachen, über die erschreckende Wahrheit der Kritik weinen oder die gewitzten Anspielungen staunen soll. "In diesem Fall ziehen Sie eine Maske schnell zu sich heran und platzieren diese fest auf Mund und Nase. Danach helfen Sie Kindern und hilfsbedürftigen Personen." - Batman zu Robin Aufgrund der wieder episodenartigen Handlung und der in Szenenform geschriebenen Kapiteln, bietet es sich hier wirklich an, das Hörbuch zu hören. Gerade bei längeren Autofahrten oder bei banalen Tätigkeiten wie Wäscheaufhängen oder Abwaschen ist es eine willkommene Ablenkung, einige Szenen aus dem Manifest zu hören. Auch wenn ich eigentlich kein bekennender Fan von Hörbüchern bin und immer lieber die Print-Variante bevorzuge, habe ich es hier nicht bereut, die vorgelesene Version gewählt zu haben. Autor Marc-Uwe Kling liest hier selbst vor, live vor Publikum, weshalb immer mal wieder leise Lacher im Hintergrund zu hören sind, welche aber nicht stören. Im Gegensatz zu anderen Autoren merkt man Mark-Uwe an, dass er es gewohnt ist, Texte vorzutragen. Er liest die Rollen des Ich-Erzählers und des Kängurus mit leicht verstellten Stimmen, sodass man die nasale, laute, nerv tötende Stimme des Kängurus immer schön unterscheiden kann. Mit wohlüberlegten Pausen und Betonungen lenkt er das Geschehen in eine richtige Richtung und seine angenehme Stimme konnte mich wirklich mitreißen. Das Buch hingegen wartet mit schönen Zusatzmaterialien in besonderer Formatierung auf (z.B. siehe Anti-Terror-Anschlag siehe rechts). Dabei kann man sich den Hörspaß ruhig Häppchenweise zuführen, zu lange Pausen sollte man aber auch nicht machen, denn auch wenn die Szenen oft sehr kurz sind und meistens nichts miteinander zu tun haben, werden immer wieder kleinere Bezüge zur vorangegangenen Handlung gestellt und viele Insiderwitze und Anspielungen setzen voraus, dass man sich noch an Vorhergegangenes erinnert. Dass es immer spannend und witzig bleibt wird durch viele erzähltechnische Elemente garantiert, die Kling wunderbar einwebt. So wechselt er kreativ die Erzählperspektivwechsel, variiert die Erzählzeit, lässt manchmal kurze Erinnerungslücken auftauchen und stellt falsch zugeordnete Zitate vornan. "Jedes Publikum kriegt die Vorstellung, die es verdient." -Mario Barth Das Ende wartet dann mit einer Sammlung an Anti-Terror-Anschläge und einem finales Nachspiel auf, das sofort Lust auf mehr macht. Zum Glück habe ich ja zu Weihnachten den Zuband "Die Känguru-Apokryphen" bekommen, in die ich immer reinhören kann, wenn ich wieder Entzugserscheinungen habe. Zum Abschluss noch ein Zitat vom Känguru das das Konzept und damit die Wichtigkeit des Buches ganz gut zusammenfasst: “Ja. Waffe”, sagt das Känguru, “Warum wird uns pausenlos von Terror, Krisen, Katastrophen, ja von der Apokalypse und den daraus resultierenden Sachzwängen und Alternativlosigkeiten erzählt? Ich sage euch, warum: Furcht gebiert Gehorsam! Wir werden beherrscht durch unsere Ängste. Das Verlachen aber zerbricht die Angst! Es befreit. Es ist eine Selbstermächtigung! Und das wird nur der Anfang sein.” Fazit: Die Erfolgsformel zieht auch hier: 1 Kleinkünstler + 1 kommunistisches Känguru + 1 kapitalistischer Pinguin + viele dämliche Ideen = Suchtpotential und Angriff auf die Lachmuskulatur. Die Geschichtssammlung wird von der Situationskomik im Wohnzimmer immer mehr zum politischen Kabarett mit dystopischen Elementen und Gesellschaftskritik im globalen Stil. Ganz große (Klein-)Kunst, die den Spagat zwischen Witz und messerscharfe Kritik wieder mit Bravour meistert!

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