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Wordworld

Posted on 16.12.2020

Laini Taylor träumte schon in "Strange the Dreamer - Der Junge der träumte", "Strange the Dreamer - Ein Traum von Liebe" und "Muse of Nightmares - Das Erwachen der Träumerin" eine wundervolle Welt voller legendärer Mysterien über wütende Götter, gestohlenen Wörtern, verschwindenden Namen, unzerstörbarer Metalle, schrecklicher Albträume, gequälten Geistern, gefallenen Engeln, wunderschönen Monstern, gewiefter Alchemie und unglaublicher Magie herbei, sodass ich es kaum erwarten konnte, mit der Fortsetzung nach "Weep" zurückzukehren. Der abschließende vierte Teil des Fantasy-Epos präsentiert sich nun als einziger spannender Showdown, der endlich alle brennenden Fragen beantwortet und die vielen Fäden der Handlung kunstvoll zusammenführt. Vielleicht ist euch schon aufgefallen, dass die Geschichte, die im Original nur zwei Teile ("Strange the Dreamer" und "Muse of Nightmares") hat, im deutschen in vier Teile aufgeteilt wurde. Dieses Buch ist also die zweite Hälfte von "Muse of Nightmares", welches die im Deutschen vierbändige Reihe abschließt. Ich kann es auch in meiner vierten Rezension zu der Reihe nur nochmal wiederholen: Meiner Meinung nach wäre diese Trennung schlicht nicht nötig gewesen. Bei Fantasy-Reihen ist ein Buch mit über 600 Seiten absolut kein Problem und so sind die zwei Teile der Geschichte wirklich sehr dünn und wirken außerdem alleinstehend unvollständig abgewürgt. Während die ersten beiden Teile noch genügend eigenstehende Handlung hatten, um zwei separate Geschichte zu tragen, leiden vor allem der dritte und der vierte Teil sehr unter der Spaltung durch den Verlag. Denn während sich Laini Taylor in "Muse of Nightmares - Das Geheimnis des Träumers" lediglich warmläuft und neue Probleme, Charaktere und Hintergründe anteasert, ist "Muse of Nightmares - Das Erwachen der Träumerin" das genaue Gegenteil und besteht praktisch nur aus einem einzigen Showdown. Zusammengenommen ergeben beide Bände ein Finale, in dem zuerst eine brodelnde Grundatmosphäre aufgebaut wird, bevor es zur Sache geht. Auseinandergerissen wirken sowohl Teil 3 als auch Teil 4 unvollständig und einseitig. Erster Satz: "Sarai gab Minya eine kleine Dosis des Lall." Abgesehen von der fragwürdigen Aufspaltung finde ich die sonstige Gestaltung aber einfach wunderschön! Das Cover ist dieses Mal in einem matten Silber gehalten und wieder von helleren Lichtbahnen und Wolken durchzogen, die einen Hauch von Wissenschaft und Symmetrie hinzufügen. Dieser letzte Teil fügt sich damit perfekt in die Reihe ein, die nun aus jeweils zwei farbigen Covern mit Metallic-Schrift und zwei Metallic-Covern mit farbiger Schrift besteht. Im Mittelpunkt steht hier wieder die rote Form eines Adlers, der wohl Irrlicht verkörpert, welcher in der Geschichte ein zentrales Motiv darstellt. Die Kapitelanfänge werden ebenfalls durch den Adler geziert und die fantasievollen Überschriften zeigen auf, in welche Richtung sich die Geschichte bewegen wird. Eine Protagonistin sagt an einer Stelle der Geschichte, alle wahren Geschichten seien wunderschön und voller Monster und Lazlo solle ihr etwas Wildes und Unglaubliches erträumen. Das hat sich die Autorin wohl auch als Maßstab gesetzt, denn die Geschichte, die Welt die sie für uns herbeiträumt wirkt wirklich wunderschön, monströs, morbide, sanft, farbenfroh und einfach - alles zugleich. Während im ersten Teil eher die Abenteuerkomponente von Lazlos Reise und die Magie des Ergründens des Geheimnisses von Weep im Vordergrund standen, der zweite Teil eher eine Liebesgeschichte war, die in einem spektakulären Showdown gipfelt und sich der dritte Teil wie eine sich langsam steigernde Vorbereitung für das große Finale las, geht es hier endlich zur Sache. Zwar kann man nur äußerst wenig über den Verlauf der Handlung verraten, ohne zu spoilern, ich kann aber versichern, dass hier einige actionreiche Kämpfe, dramatische Racheaktionen, überraschende Wendungen und spannende Zusammentreffen auf uns zukommen. Denn wenn die Autorin eines beherrscht, dann ist es ihr Handlung in unvorhergesehene Gefilde abseits der typischen Fantasy-Abläufe zu treiben. Wieder einmal scheinen Laini Taylor Genregrenzen und Erzählgrundsätze nicht besonders wichtig zu sein, denn sie tanzt zwischen verschiedenen Genres und schildert unglaubliche Situationen, durch die die Geschichte wie ein einziger skurriler, kunterbunter, wunderschöner Traum, aus dem man gar nicht mehr erwachen will. Statt uns wie so oft in Fantasy-Finals eine große Schlacht aufzutischen, setzt sie auf ein chaotisches Aufeinandertreffen aller sorgfältig vorgestellten Parteien, welches absolut unvorhersehbar aufläuft und alle Handlungsfäden kunstvoll vereint. "Früher einmal war Nova nur die Hälfte eines Namens gewesen. Koraundnova klang wie Musik, heil und ganz. Nova allein war ein scharfkantiges, zerbrechliches Fragment. Wann immer sie es hörte, zerbrach sie innerlich aufs Neue." Dabei setzt sie jedoch nicht nur auf Kämpfe und Wendungen sondern nimmt sich auch genügend Zeit, alle brennenden Fragen über das Mysterium Weep, die Kinder der Götter, die Seraphim, der Vogel Irrlicht und die Zitadelle zu beantworten. Auch Kora und Nova, die wir zu Beginn des dritten Teils kennengelernt haben und deren Geschichte zu Beginn in keinem Zusammenhang mit der Haupthandlung in Weep zu stehen schien, spielen hier eine unerwartete Schlüsselrolle. Sprich: War die Reihe zuvor noch von atmosphärischer Spannung, unbeantworteten Geheimnissen und einzelnen Highlights geprägt, schaltet die Autorin in den Action Modus um und enthüllt im Kapiteltakt, was lange verborgen war. Sehr nett ist auch, dass Fans der Autorin einige subtile Querverweise zu einer anderen Fantasy-Reihe auffallen werden und weitere Andeutungen Platz für eine Spinn-Off-Reihe freiräumen. "Der Vogel wirbelte einen Windstoß hinter sich her, der eine weitere Stimme mitbrachte. In harscher Harmonie rankte sie sich um den gellenden Adlerschrei. Das Wabern in der Luft dellte sich hervor, klaffte auf und enthüllte Leiber, Arme, Waffen. Ein gnadenloser Ansturm. Abermals lobend zu erwähnen ist auch Laini Taylors unfassbarer Schreibstil, der zu den schönsten gehört, die ich jemals kosten durfte. Legendäre Mysterien über wütende Götter, gestohlenen Wörtern, verschwindenden Namen, unzerstörbare Metalle, schreckliche Albträume, gequälte Geister, gefallene Engel, wunderschöne Monster, gewiefte Alchemie und unglaubliche Magie - sanft und poetisch, eindringlich und voll träumerischer Süße nimmt sie uns mit auf eine ereignisreiche Reise durch die sagenumwobene Stadt Weep und darüber hinaus... Im Großen wie im Kleinen findet sie dabei großartige und manchmal auch absurde Sprachbilder, die uns ihr Setting oder die Gefühle der Protagonisten näher bringen und als weiteres Alleinstellungsmerkmal hervorstechen. Dabei kommen auch detailreiche, bildhafte Ausschmückungen nicht zu kurz, sodass eine magische Atmosphäre entsteht, die dank der fabelhaften Übersetzung Ulrike Raimer-Noltes nicht leidet. Falls das überhaupt möglich sein sollte, wird ihr Schreibstil hier noch besser - denn diese Geschichte besteht praktisch nur aus diesem gewissen, magischen Etwas, dem fantastischen Prickeln, das man nur in wenigen Büchern findet. "Eril-Fane spürte, wie seine Kehle sich verengte und seine Fäuste sich zusammenkrampften, während seien Herzen von einer plötzlichen Liebe anschwollen, die schlicht und allumfassend war: für seine Stadt, sein Volk, seine Mutter, seien Ehefrau und diese wunderschönen blauen Kinder, die ganz auf sich alleingestellt überlebt hatten." Fast noch wichtiger als Setting und Schreibstil sind jedoch die zwei wundervollen Protagonisten, die wir hier trotz des Handlungsfokus´ nicht aus den Augen verlieren. Mit feinfühligen Beschreibungen hebt Laini Taylor ihre beiden Protagonisten aus dem bunten Meer aus Träumereien, Göttern, Monstern und Geistern hervor und lässt sie lebendig werden. Dabei ist vor allem Lazlo fern ab von jeglichem Klischee konstruiert und unterscheidet sich drastisch von üblichen oder gar durchschnittlichen Protagonisten einer Fantasy-Serie. Der unscheinbare, unansehnliche Junge besitzt nichts als seine Geschichten, seine Träume, seine Fantasie, welche er tief im Herzen als seinen größten Schatz verwahrt und doch macht ihn das zur reichsten Person des ganzen Landes. Seine kindliche Ehrfurcht, die neugierige Begeisterung und die demütige Höflichkeit, mit der er der Welt begegnet nehmen den Leser sofort für diesen sanftmütigen, jungen Mann ein und garantieren, dass man mit ihm mitfiebert und dieser Figur von Herzen das Beste wünscht. Dass er selbst ein mächtiger Gott ist, das Mesarthium befehlen kann, eine Familie hat, eine Schwester und zugleich durch Sarais Tod so viel verloren hat, setzt ihm natürlich sehr zu und bringt sein Selbstbild durcheinander. Hier nimmt sich die Autorin tatsächlich ausreichend Zeit, sich mit den Auswirkungen der Enthüllung auf seinen Charakter zu beschäftigen, was man bei Fantasy-Romanen auch nicht jeden Tag liest! "Wünsche erfüllen sich nicht einfach. Sie sind nur die Zielscheibe, die man um seine Zukunftspläne malt. Ins Schwarze treffen musst du schon selbst." Auch Sarai scheint nicht in die Welt zu passen, in der sie lebt - eingesperrt mit Monstern, die ihre Familie sind, in einem Schloss hoch über den Wolken. Genauso sehr wie sich Lazlo nach dem Absonderlichen und Wunderbaren streckt, sehnt sich danach, einfach normal zu sein und dazuzugehören. Durch die täglichen Besuche in den Träumen der Bewohner von Weep hat sie etwas gefunden, dass den schwelenden Hass, der in den Herzen der Götterkinder auch nach Jahren noch glüht, abgekühlt hat: Mitgefühl und Verständnis. Trotz des vielen Leids, Unverständnisses und Schams, von denen ihr Dasein geprägt ist, ist sie in der Lage, mit den Menschen mitzufühlen, die Minya gerne zu ihren Feinden erklärt und so wird auch sie zur zerrissenen, tragischen Heldin, die wie Lazlo auch einfach nur dazugehören will. Durch die unglücklichen Verstrickungen am Ende des zweiten Teils hat sie zwar ihr Leben verloren, kann als Geist aber trotzdem noch denen nahe sein, die sie liebt und auch ihre Gabe ist nicht verloren. Leider ist sie aber nun abhängig von Minyas Güte und nur ein Fehler könnte ihr Dasein endgültig beenden. Hier muss sie sich nun endgültig entscheiden, wer sie sein will: die Muse der Albträume oder die Göttin der Träume... "Göttin der Träume. Die Worte träufelten honigsüß in Sarais Bewusstsein, und sie sah das Bild zweier Mädchen mit zimtfarbenen Haaren vor sich, die sich gegenseitig im Spiegel betrachteten, die Muse der Albträume und die Göttin der Träume. Welche war real und welche nur ein Abbild?" Die Beziehung zwischen Lazlo und Sarai, die im vergangenen Band so zart entwickelt wurde, blüht hier trotz aller widrigen Umstände weiter auf, tritt jedoch zugunsten eines weiteren Charakters ein wenig in den Hintergrund: Minya. Gerade als ich dachte, dass ich endlich einen ganz eindeutig bösen Protagonisten gefunden habe, den ich hassen kann, wendet die Autorin das Blatt komplett, erzählt ihre Geschichte und nimmt uns mit in ihre Träume, ihren verwirrten, traumatisierten Geist und füllt uns mit Mitgefühl und Verständnis für dieses arme Geschöpf in Gestalt eines alterslosen Mädchens mit kalten Augen... Neben Minya werden auch eine ganze Menge weiterer Protagonisten vertieft und weiterentwickelt. Zum Beispiel wird die Hintergrundgeschichte von Eril-Fane und Azareen endlich lückenlos erzählt und auch Lazlos ehemalige Reisegefährten rücken hier wieder ein bisschen mehr in den Vordergrund. Das Sahnehäubchen auf der Torte stellte dann die sich leise anbahnende Romanze zwischen dem eingebildeten Alchemisten-Schönling Nero und dem Tizerkan Ruza dar, die so natürlich und sympathisch daherkam, dass man der Autorin den sehr späten Zeitpunkt dieser Entwicklung großmütig nachsah. Neben diesem bekannten, bunten Kreis an liebgewonnenen Protagonisten tauchen auch in den aller letzten Zügen der Geschichte noch einige spannende, neue Gesichert auf, die die ungewöhnliche Wohngemeinschaft in der Zitadelle ordentlich aufmischen. Wen ich damit meine - lest selbst... "Das Bewusstsein ist gut im Verstecken, aber eine Fähigkeit besitzt es nicht: Es kann nichts ausradieren. Was verborgen und begraben wird, ist deshalb nicht fort. In Minyas Gedächtnis befand sich eine unsichtbare Falltür. Oder auch eine Schublade mit einem Geheimfach ... eine schwebende Metallkugel mit einem Portal, das in eine albtraumhafte Welt führte. Jedenfalls war dieser Ort nu aufgesplittert, explodiert, und die Wahrheit quoll heraus wie Blut." Das eigentliche Ende gönnt dem Leser nach dem temporeichen Showdown einen kleinen Moment zum Luftschnappen, bevor es an den Abschied geht. Auch in diesem Ende bleibt sich die Autorin treu und wählt keinen allerwelts-Abschluss für ihre besondere Reihe, was dieses Finale zu genau dem macht, was ein Finale sein sollte: ein würdiger Abschluss, der in eine unvorhergesehene aber stimmige Richtung geht. Zwar gibt es nicht für jeden ein Happy End, mit einer ordentlichen Portion Offenheit in den einen und süßer Gewissheit in anderen Handlungssträngen ist dieser Schluss aber schön zu Ende gedacht und alles in allem ein befriedigender Abschluss. "Es war einmal ein Mädchen, das seiner Schwester einen Schwur leistete und nicht wusste, wie sie ihn brechen sollte. Stattdessen wurde sie davon gebrochen. Es war einmal eine Schwester, der das Unmögliche gelang, doch um Haaresbreite zu spät. (...) Dann war alles vorbei. Oder vielleicht fing etwas Neues an. Wer es weiß, kann nicht davon erzählen, und die die davon erzählen, wissen es nicht." Fazit: Der abschließende vierte Teil des Fantasy-Epos präsentiert sich nun als einziger spannender Showdown, der endlich alle brennenden Fragen beantwortet und die vielen Fäden der Handlung kunstvoll zusammenführt. War die Reihe zuvor noch von atmosphärischer Spannung, unbeantworteten Geheimnissen und einzelnen Highlights geprägt, schaltet die Autorin in den Action Modus um und enthüllt im Kapiteltakt, was lange verborgen war. Zusammen mit dem tollen Schreibstil und den weitergeführten Charakterisierungen ist "Muse of Nightmares - Das Erwachen der Träumerin" ein würdiger Abschluss einer besonderen Reihe.

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