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Wordworld

Posted on 16.12.2020

Laini Taylor träumte schon in "Strange the Dreamer - Der Junge der träumte" eine wundervolle Welt voller legendärer Mysterien über wütende Götter, gestohlenen Wörtern, verschwindenden Namen, unzerstörbarer Metalle, schrecklicher Albträume, gequälten Geistern, gefallenen Engeln, wunderschönen Monstern, gewiefter Alchemie und unglaublicher Magie herbei, sodass ich es kaum erwarten konnte, mit der Fortsetzung nach "Weep" zurückzukehren. Nun ging der Traum endlich weiter - bunter, intensiver, schöner und magischer als je zuvor! "Du bist märchenhaft. Du bist magisch, mutig und wundervoll. Und...", fuhr er mit plötzlicher Schüchternheit fort, denn nur in einem Traum konnte er solche gewagten Worte überhaupt aussprechen: "... ich hoffe, du lässt mich Teil deiner Geschichte sein." Vielleicht ist euch schon aufgefallen, dass die Geschichte, die im Original nur zwei Teile ("Strange the Dreamer" und "Muse of Nightmares") hat, im deutschen in vier Teile aufgeteilt wurde. Dieses Buch ist also die zweite Hälfte von "Strange the Dreamer" und die Reihe wird im nächsten Sommer durch die beiden Hälften von "Muse of Nightmares" fortgesetzt. Meiner Meinung nach wäre diese Trennung schlicht nicht nötig gewesen. Bei Fantasy-Reihen ist ein Buch mit über 600 Seiten absolut kein Problem und so sind die zwei Teile der Geschichte wirklich sehr dünn und wirken außerdem alleinstehend unvollständig abgewürgt. Die Handlung am Ende von Teil 1 bricht ohne Vorwarnung ab und lässt den Leser in der Luft hängen. So bin ich nun wirklich froh, mit dieser zweiten Hälfte den kompletten ersten Part der Geschichte vorliegen zu haben. Abgesehen von der fragwürdigen Aufspaltung finde ich die sonstige Gestaltung einfach wunderschön! Das Cover ist dieses Mal glänzend golden und wieder von helleren Lichtbahnen durchzogen, die einen Hauch von Wissenschaft und Symmetrie hinzufügen. Im Mittelpunkt steht die blaue Form einer Motte, die in der Geschichte ein zentrales Motiv darstellt und die durch geometrische Muster aufgepeppt wurde. Wer die Gestaltung von Teil 1 und 2 vergleicht, wird also feststellen, dass die Farbgebung von Hintergrund und Highlights genau konträr ist, sich die Designs also wunderbar ergänzen. Sehr schön ist auch die ausgestaltete Titelseite, die durch fünf gezeichnete Motten geziert wird, deren Flügelmuster bei genauerem Hinsehen ein Gesicht ergeben. Die Kapitelanfänge werden ebenfalls durch die Motte geziert und die fantasievollen Überschriften zeigen auf, in welche Richtung sich die Geschichte bewegen wird. "Vipern und Engel", "Eine stille Apokalypse" oder "Pflaumengroße Wut" verbinden die beiden Polaritäten, die sich in meiner Lieblingsüberschrift widerspiegeln: "Wunderschön und voller Monster". Eine Protagonistin sagt an einer Stelle der Geschichte, alle wahren Geschichten seien wunderschön und voller Monster und Lazlo solle ihr etwas Wildes und Unglaubliches erträumen. Das hat sich die Autorin wohl auch als Maßstab gesetzt, denn die Geschichte, die Welt die sie für uns herbeiträumt wirkt wirklich wunderschön, monströs, morbide, sanft, farbenfroh und einfach - alles zugleich. "Sie konnte die Wärme seiner Haut spüren. Eine aufflammende Verbindung, nein, eine Kollision. Als wären sie schon eine Ewigkeit durch dasselbe Labyrinth geirrt und hätten endlich eine Ecke umrundet, die sie aufeinandertreffen ließ. Eben noch war sie allein und verloren gewesen, jetzt nicht mehr." Im ersten Abschnitt der Geschichte haben wir den jungen Träumer Lazlo kennengelernt, der durch eine schicksalhafte Fügung zum Ort seiner Träume - die verborgene Stadt Weep - aufbrechen kann, der durch die Mesarthim jahrzehntelang ihr Himmel, ihre Jugend, ihr Name und ihre Hoffnung gestohlen wurde. Nun in Weep angekommen muss er sich bald fragen, weshalb ihn sein Schicksal in die Stadt seiner Träume geführt hat und wie ausgerechnet er - der blasse Bibliothekar - die Stadt retten soll. Erst als ihm Sarai jede Nacht im Traum erscheint, beginnt er zu begreifen, wie tief verwurzelt der Hass zwischen Menschen und Mesarthim ist und was es kosten wird, diese Feindschaft zu überwinden. Auch Sarai, die hoch über der verfluchten Stadt in der verlassenen Zitadelle der Götter lebt und die Menschen von Weep jede Nacht in ihren Träumen besucht, steht vor einer wichtigen Entscheidung: will sie weiterhin ein Teil von Minyas Racheplan sein oder glaubt sie an das Gute in den Menschen? Mit der ersten wirklichen Begegnung von Sarai und Lazlo in ihren Träumen startet eine der schönsten Liebesgeschichten, die ich jemals verfolgen durfte - eingebettet ist ein magisches Setting und die Gewissheit, dass ihre Beziehung nicht gut gehen wird... "Meine Vipern, meine Engel", nannte Ellen die Große sie gerne mit Kosenamen. Passend, denn sie waren beides gleichzeitig. Sie waren Geschöpfe aus Fleisch und Seele, aus Magie und aus Hunger, und ja... Spucke, alle auf engstem Raum eingeschlossen, ohne Ausweg. Ein Massaker lag hinter ihnen, ein weiteres stand ihnen bevor, und überall waren die Geister der Toten." Wir starten eher gemächlich in die zweite Runde der Geschichte und konzentrieren uns vor allem auf die Beziehung zwischen Sarai und Lazlo. Während im ersten Teil eher die Abenteuerkomponente von Lazlos Reise und die Magie des Ergründens des Geheimnisses von Weep im Vordergrund standen, ist der zweite Teil eher eine Liebesgeschichte, die in einem spektakulären Showdown gipfelt. Der Titel "Ein Traum von Liebe" wird hier also definitiv Programm. Dabei wird die Erzählweise gleichzeitig süßer und ernster. Durch den Fokus auf Lazlo und Sarai ergreift eine zarte Sehnsucht, süße Hoffnung und Zärtlichkeit von der Handlung besitzt, auf der anderen Seite wird aber immer deutlicher, wie tief verwurzelt Hass und Rachedurst auf den beiden Seiten sind und wie verfahren die Situation ist. Dadurch ist dem Leser die fragile Zerbrechlichkeit der vielen kurzen Glücksmomente bewusst und die Angst vor dem Ausgang, der im Prolog in Band 1 schon angedeutet wurde, sorgt für eine intensive Hintergrundspannung. Dabei scheinen Laini Taylor Genregrenzen und Erzählgrundsätze nicht besonders wichtig zu sein, denn sie tanzt zwischen verschiedenen Genres und schildert unglaubliche Situationen, durch die die Geschichte wie ein einziger skurriler, kunterbunter, wunderschöner Traum, aus dem man gar nicht mehr erwachen will. "Sie hatte das Gefühl, sich selbst ganz neu zu entdecken - kein unnatürliches Geschöpf, vor dem selbst Geister zurückschrecken, sondern ein Märchenwesen. Ein Gedicht. Solange der Traum nachwirkte, erschien alles möglich. Sogar Freiheit. Sogar Liebe." Laini Taylors unfassbarer Schreibstil, der zu den schönsten gehört, die ich jemals kosten durfte, trägt zur Schaffung dieses Gesamtbildes natürlich auch nicht unwesentlich bei. Legendäre Mysterien über wütende Götter, gestohlenen Wörtern, verschwindenden Namen, unzerstörbare Metalle, schreckliche Albträume, gequälte Geister, gefallene Engel, wunderschöne Monster, gewiefte Alchemie und unglaubliche Magie - sanft und poetisch, eindringlich und voll träumerischer Süße nimmt sie uns mit auf eine ereignisreiche Reise und entführt in die sagenumwobene Stadt Weep. Im Großen wie im Kleinen findet sie dabei großartige und manchmal auch absurde Sprachbilder, die uns ihr Setting oder die Gefühle der Protagonisten näher bringen und als weiteres Alleinstellungsmerkmal hervorstechen. Sie erzählt die Geschichte von zwei Liebenden in einer verfluchten Stadt geschickt gerafft in 348 Seiten und vermittelt dem Leser trotz Zeit- und Ortssprüngen das Gefühl von Ruhe und Gemächlichkeit. Dabei kommen auch detailreiche, bildhafte Ausschmückungen nicht zu kurz, sodass eine magische Atmosphäre entsteht, die dank der fabelhaften Übersetzung Ulrike Raimer-Noltes nicht leidet. Falls das überhaupt möglich sein sollte, wird ihr Schreibstil hier noch besser - denn diese Geschichte besteht praktisch nur aus diesem gewissen, magischen Etwas, dem fantastischen Prickeln, das man nur in wenigen Büchern findet. "Sie sprach von einer Liebe, die die Seele aufblühen lässt wie der Frühling und reifen lässt wie der Sommer. Eine Liebe, wie sie kaum in der Wirklichkeit existierte, als habe ein meisterhafter Alchemist alle Unreinheiten, Enttäuschungen, Alltäglichkeiten und unwürdigen Gedanken herausgeköchelt, um ein perfektes Elixier zu erschaffen, zuckersüß, vielschichtig und verzehrend." Fast noch wichtiger als Setting und Schreibstil sind die zwei wundervollen Protagonisten, die wir hier in vollkommen neuem Licht kennenlernen können. Mit feinfühligen Beschreibungen hebt Laini Taylor ihre beiden Protagonisten aus dem bunten Meer aus Träumereien, Göttern, Monstern und Geistern hervor und lässt sie lebendig werden. Dabei ist vor allem Lazlo fern ab von jeglichem Klischee konstruiert und unterscheidet sich drastisch von üblichen oder gar durchschnittlichen Protagonisten einer Fantasy-Serie. Der unscheinbare, unansehnliche Junge besitzt nichts als seine Geschichten, seine Träume, seine Fantasie, welche er tief im Herzen als seinen größten Schatz verwahrt und doch macht ihn das zur reichsten Person des ganzen Landes. Seine kindliche Ehrfurcht, die neugierige Begeisterung und die demütige Höflichkeit, mit der er der Welt begegnet nehmen den Leser sofort für diesen sanftmütigen, jungen Mann ein und garantieren, dass man mit ihm mitfiebert und dieser Figur von Herzen das Beste wünscht. "Ich bin kein Traum", sagte Sarai. Ihre Stimme klang bitter. "Ich bin ein Albtraum." Auch Sarai scheint nicht in die Welt zu passen, in der sie lebt - eingesperrt mit Monstern, die ihre Familie sind, in einem Schloss hoch über den Wolken. Genauso sehr wie sich Lazlo nach dem Absonderlichen und Wunderbaren streckt, sehnt sich danach, einfach normal zu sein und dazuzugehören. Durch die täglichen Besuche in den Träumen der Bewohner von Weep hat sie etwas gefunden, dass den schwelenden Hass, der in den Herzen der Götterkinder auch nach Jahren noch glüht, abgekühlt hat: Mitgefühl und Verständnis. Trotz des vielen Leids, Unverständnisses und Schams, von denen ihr Dasein geprägt ist, ist sie in der Lage, mit den Menschen mitzufühlen, die Minya gerne zu ihren Feinden erklärt und so wird auch sie zur zerrissenen, tragischen Heldin, die wie Lazlo auch einfach nur dazugehören will. Was passiert, als die beiden aufeinander treffen - lest selbst... "Für Lazlo hatte es sich angefühlt, als hätte er ein Buch im Inneren eines anderen Buches entdeckt. Eine kleine, kostbare Rarität, die in einem gewöhnlichen Wälzer steckte. Zaubersprüche, geschrieben auf Libellenflügeln, verborgen in einem Kochbuch zwischen Rezepten für Kohlköpfe und Maiskolben. Für Lazlo stand fest: Ein Kuss, selbst der allerkürzeste, war ein kleiner Moment der Magie, eine Geschichte voller Zauber, eine wundersame Unterbrechung des Alltags." Das Ende … ja das Ende ist nochmal eine Kategorie für sich. Wie auch der Rest der Geschichte begeistert es mit fantastischem Ideenreichtum, wortgewaltiger Sprache und tragischer Intensität. Anders als der träumerisch-süße Beginn es aber vermuten ließe, lassen und die Enthüllungen und Geschehnisse der letzten Seiten schockiert und hilflos zurück, sodass das Warten auf den nächsten Teil ("Muse of Nightmares - Das Geheimnis des Träumers" (29.06.2020)) mir jetzt schon unendlich lange erscheint. Fazit: Der Traum geht weiter - bunter, intensiver, schöner und magischer als je zuvor! Laini Taylor überzeugt mit fantastischem Ideenreichtum, wortgewaltiger Sprache, tragischer Intensität und zwei lebendigen Protagonisten, die ihresgleichen suchen.

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