Wordworld
In "The Plus One" hatte ich nach dem Lesen des Klapptexts hohe Erwartungen gesetzt (ja ich weiß, diese stellen sich nur in den wenigstens Fällen als hilfreich heraus, aber diese Idee klang einfach so vielversprechend), doch leider hielt die Umsetzung für mich bei Weitem nicht, was sie versprach. Wir erfahren weder viel über Robotik, noch erhalten wir eine besondere Liebesgeschichte, stattdessen lesen wir die zeitweise etwas frustrierende Entwicklungsgeschichte einer sozial schwierigen Protagonistin, die durch die problematische Beziehung zu einen Roboter lernt, loszulassen, spontan zu sein und mit anderen zusammenzuarbeiten. Dass der Verlag das Motiv des Originalcovers übernommen hat, war eine ganz tolle Entscheidung. Die Zeichnung des blonden Mädchens, das einen Mann im Anzug umarmt, umgeben in sanften Pastellfarben umgeben von Werkzeugen, Schrauben und Zahnrädern ist einfach wunderschön und passt super zur Geschichte. Auch der Titel "The Plus One", was auf die weitere Person anspielt, die man häufig zu Events wie zum Beispiel Hochzeiten mitbringen darf, passt perfekt. Denn Kelly fehlt genau dieses Plus-Eins-Anhängsel im Leben - zumindest nach den Maßstäben ihrer Mutter, nach denen sie mit ihren 30 Jahren schon auf dem Besten Weg ist, eine uralte, einsame Katzenlady zu werden. Als sie aus einer spontanen Laune heraus einen perfekten Begleiter aus Teilen im Labor baut, scheint dieses Problem erstmal gelöst zu sein. Ihre Familie ist glücklich, ihre Kollegen sind beeindruckt und sogar Fremde auf der Straße beglückwünschen sie zu ihrem tollen Fang. Und schwups wird von Liebe gesprochen, Heirat steht im Raum, doch kann Kelly wirklich glücklich werden, wenn sie sich nicht sicher sein kann, dass das Objekt ihrer Begierde ein Mensch ist und tatsächliche Gefühle hat...? Erster Satz: "Von den drei Personen auf der Bühne waren nur zwei echt." Wir lernen unsere Protagonistin Kelly direkt in einer Situation kennen, in der sie sich alles andere als wohl fühlt: auf einer Bühne, im Rampenlicht, wenn auch nur vor gelangweilten Kindern. Anders als ihre spontane Freundin Priya tut sie sich in allem schwer, was andere Menschen beinhaltet und bekommt deshalb auch schon bald von einem mithelfenden Psychologen die Diagnose: sie ist ein Kontrollfreak mit unsozialen Tendenzen. Das Problem: das bekommen wir von Anfang zu spüren, was es nicht gerade leicht macht, sich mit ihr anzufreunden. Sie belügt sich selbst, zieht sich von anderen zurück, ist in sozialen Situationen schnell überfordert und neigt zu extremen Überreaktionen, wenn sie sich unsicher fühlt. Zwar hat man schnell Mitleid mit der jungen Frau, die ihren eigene Anforderungen und den antiquierten Vorstellungen ihrer Familie nicht gerecht werden kann, egal wie sehr sie sich anstrengt, dennoch haben mich ihre oftmals verzweifelten, sprunghaften Handlungen und ihre naiven oder verbohrten Gedanken ab und zu an ihrer uns immer wieder beteuerten Genialität zweifeln lassen. Statt uns ihre Gefühle aus erster Hand nachspüren, uns zusammen mit der Protagonistin Fehler machen und wieder ausbügeln und schließlich zu eigenen Schlüssen kommen zu lassen, macht sich es die Autorin ziemlich leicht und platziert den Leser in einer besserwissenden Position. Auch unterstützt durch den allwissenden Erzähler und durch immer wieder eingeschobene selbstkritische Gedanken kann der Leser von Beginn an leicht über Kelly urteilen und es kann keine wirkliche Nähe entstehen. Ich will Sarah Archer keineswegs absprechen, dass sie hier eine beeindruckende Charakterstudie hingelegt und eine Protagonistin abseits von gewöhnlichen Klischees gezeichnet hat, leider konnte ich aber nie eine wirkliche Bindung zur Protagonistin aufbauen und gerade gegen Ende ihr extremes Hineinsteigern in die Situation nicht mehr nachvollziehen. Die etwas sperrige, schwierige Protagonistin bleibt aber bei Weitem nicht das einzige Problem. Mein größter Kritikpunkt ist, dass die interessante und ungewöhnliche Idee in vielerlei Hinsicht nicht gut genug ausgearbeitet wurde und das große Potential der Geschichte durch kaum Handlung, keine echten Spannungsbögen und nur im Ansatz verfolgte Ideen verschwendet wird. Auch wenn sich die Geschichte grundsätzlich flüssig lesen lässt und Sarah Archer immer wieder durch Wortwitze oder absurde Stellen auflockert, konnte ich mich mit ihrem Erzählstil nicht wirklich anfreunden. Statt uns einfühlsam von einer zarten Liebesgeschichte zu erzählen, zieht sie das Erzähltempo erbarmungslos an und geht über alle (von mir als wichtig erachteten) Szenen so oberflächlich hinweg, dass manche Abschnitte teilweise wie ein grobes Skript wirken, das später nochmal mit Szenen ausgekleidet werden soll. Der Bau von Ethan, ihr Kennenlernen, ihr gemeinsames Zusammenleben, die aufkommenden Gefühle, ihr erster Kuss - schlicht alle Schlüsselszenen, die uns beide Protagonisten und die Handlung hätten näher bringen können, werden im Schnelldurchlauf, mit großen Zeitsprüngen und teilweise Nacherzählungen im Off abgehandelt, sodass sie ohne großes Aufsehen (und vor allem ohne Emotionen hervorzurufen) am Leser vorbei ziehen. Stattdessen vertieft sich die Autorin lieber in Kellys immergleiches und frustrierendes Gedankenkarussell aus Unsicherheit, Fantasien, Notlügen und Unzufriedenheit, weshalb trotz (oder eher wegen) des hohen Tempos im Mittelteil ein paar Längen auftraten. Was mich ebenfalls enttäuscht hat, ist das das Thema der Robotik sehr stark im Hintergrund bleibt. Klar, ich hatte keine seitenlangen Ausführungen über Hydraulik und Algorithmen erwartet, da wir es ja schließlich mit keinem Science-Fiction-Roman zu tun haben, aber ein paar Informationen hätten dem Objekt "Ethan" schon gut getan. Sobald man als Autor eine Thematik so raumfüllend in die Handlung miteinbaut, erwarte ich zumindest etwas mehr Hintergrundinformationen und ein realistischer Umgang mit der Thematik. Dass Kelly einfach mal so an einem Wochenende einen Roboter baut, der fühlt, lernt, sich flüssig bewegt, isst, verdaut, schläft und ohne Probleme als Person durchgeht ist dabei schon ein bisschen weithergeholt, dafür dass zum Entstehungsprozess nur einmal das Wort 3D-Drucker fällt, ein paar Teile aus dem Lager geholt werden und sie am Rande von einer Software redet. Dabei hat mich noch nicht mal am meisten gestört, dass das stark am Rande der Authentizität herumkrebst (immerhin ist es Fiction und keine Science-Fiction), sondern dass die Tatsache, dass Ethan ein Roboter ist und somit der ganze Kern der Geschichte, der mir so spannend und neu erschienen war, eigentlich keine Rolle spielt. Es geht hier nämlich nicht um die Verliebt-in-einen-Roboter-Thematik sondern eigentlich nur um Ethans Wirkung auf Kelly, die sich in ihrer Unfähigkeit, einen richtigen Partner zu finden, einen zusammenfantasiert, was sie aber in nur noch mehr Probleme stürzt. Es hätte sich hier auch einfach um einen ausgedachten Freund oder einen Schauspieler handeln können und die Tatsache, dass das, was ich für den Kern der Geschichte gehalten hatte, derart auswechselbar ist, hat mich sehr enttäuscht. Ich fasse nochmal kurz zusammen: die Protagonistin, so interessant wie sie war, ging mir manchmal auf die Nerven, die Erzählweise war mir zu distanziert, zu überhastet und zu oberflächlich, die Handlung weist keinen wirklichen Spannungsbogen auf und die Roboter-Thematik wurde stiefmütterlich vernachlässigt. Was bleibt dann noch? Die Liebesgeschichte - doch auch diese konnte mich nicht überzeugen. Wie schon gesagt, lässt uns die Autorin nicht wirklich am Leben der Beiden teilhaben, wodurch die prickelnde "Beziehung" zu Ethan aus dem Nichts erscheint. Stattdessen sehen wir zu, wie sich die eigentlich intelligente Protagonistin immer weiter in Lügen verstrickt und sich immer mehr verrennt. Dass Ethan eine reine Projektionsfigur für Kellys Wünsche und Sehnsüchte ist und bleibt und weil Kelly das von Beginn an klar ist und sie sich selbst und auch den Leser immer wieder an den Fakt erinnert, dass sie ihn gebaut hat, konnte ich ihn nie wirklich als Person annehmen. Und Liebe setzt für mich nun mal eine gewisse Gegenseitigkeit voraus, die es in dieser Geschichte aber zu keinem Zeitpunkt gibt. Da ist nur Kelly mit ihren Gefühlen, ihrer Unsicherheit, ihrem niedrigen Selbstwertgefühl, die im loyalen, liebevollen, aufmerksamen Ethan eine Bestätigung findet, die sie dringend nötig hatte. Dass sie sich langsam zu verlieben beginnt hat also aber weniger etwas mit Ethan zu tun, sondern mit ihrer Traumvorstellung des perfekten Mr. Right und der besseren Version ihrer selbst, die sie an seiner Seite sein wird. Dass hier keine abwegige, riesige Romanze auf unmoralischer Basis aufgebaut wird, hat mir zum Einen gut gefallen, zum Anderen hätte ich aber eigentlich weniger düsterer Realismus und mehr eine romantische Liebe erwartet. Denn dadurch dass von Beginn an klar gestellt wird, wie ungesund und unecht diese Beziehung ist und wir Kellys verzweifelte Tat durch den distanzierten Stil als solche erkennen können, können wir uns nicht entspannt fallen lassen und auf uns zukommen lassen, was passiert, sondern sind in lauernder Habachtstellung voller Anspannung weil wir wissen, dass Kelly das alles irgendwann auf die Füße fallen wird. Meiner Meinung nach hätte sich die Autorin hier entscheiden müssen: entweder hätte sie die Beziehung der Beiden tatsächlich zu einer nachvollziehbaren Liebesgeschichte ausgestalten können, die wir mit viel Gefühlen verfolgen, oder sie hätte die plötzliche Romantisierung zur großen Liebe bleiben lassen und Kellys offensichtliche Probleme und ihre Gedanken zu Ethans Persönlichkeit kritisch aufgreifen sollen. Denn diese offene Fragestellung, ob Ethan nun eine Persönlichkeit hat, einen freien Willen, Liebe und andere Gefühle empfinden kann, wird nur am Ende in zwei Sätzen angeschnitten, viel dazu kommt aber nicht. Also entweder eine wirkliche Liebesgeschichte erzählen oder den Leser die Beziehung kritisch hinterfragen lassen - dieses halb-skeptische Zwischendrin in Kombination mit der Vermarktung als Liebesgeschichte führte nämlich bei mir (und nicht nur bei mir, wie ich einigen anderen Rezensionen entnehme) zu einiger Verwirrung und Enttäuschung. Auch das Ende, das sich dann endlich ein wenig mehr profiliert und sich für einen Weg entscheidet, hatte seine Schwächen. Denn statt das Kartenhaus mit einem Knall in sich zusammenfallen zu lassen und Kelly dazu zu zwingen, sich wirklich mit sich selbst auseinander zu setzen, macht Sarah Archer es sich sehr leicht und löst Kellys Probleme beinahe alle auf einen Schlag. Genau wie beim Rest der Geschichte dürfen wir auch hier nicht auf mehr als oberflächliche Unterhaltung hoffen, auch wenn die Autorin ihren Fokus endlich ein wenig klarer setzt. Insgesamt will ich nochmal klarstellen, dass ich die Geschichte keineswegs grundlegend schlecht fand, sondern einfach nur absolut nicht das erhielt, was ich erwartet hatte. Die Roboter-Thematik und die Liebesgeschichte, also die beiden Aspekte der Geschichte, die mich vorrangig interessiert haben, sind nicht gut ausgearbeitet und spielen nur eine kleine Nebenrolle, da allgemein alles außerhalb von Kellys Ängsten und Hemmungen mit wenig Tiefe und Gefühl gestaltet wurde. Schade! Fazit: Spannende Idee, viel Potential aber mangelhafte Umsetzung! Wir erfahren weder viel über Robotik, noch erhalten wir eine besondere Liebesgeschichte, stattdessen lesen wir die zeitweise etwas frustrierende Entwicklungsgeschichte einer sozial schwierigen Protagonistin, die durch die problematische Beziehung zu einen Roboter lernt, loszulassen, spontan zu sein und mit anderen zusammenzuarbeiten. Für mich eher enttäuschend...