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Wordworld

Posted on 16.12.2020

"Verlieb dich nie in einen Herzensbrecher", hatte ich mir irgendwann mal auf meinen E-Reader gezogen, wo es langsam vor sich hin gammelte, bis ich vor einiger Zeit wieder darauf gestoßen bin und mich erbarmt habe, es zu lesen. Zuerst habe ich genau das erhalten, was mir Cover und Klapptext versprochen haben: eine nette und unterhaltsame Teenie-Geschichte. Zwei verfeindete Familien à la "Romeo und Julia", ein junges Mädchen, das sich ausgerechnet in ein Mitglied dieser anderen Familie verliebt, doch dann ... dann hat es mich positiv überrascht. Denn nach einem mittelmäßigen Einstieg entpuppt sich das Buch als eine bittersüße Geschichte über Verluste und den Umgang damit, verpackt in einer liebenswerten Teenagergeschichte um die erste große Liebe und Allem, was dazu gehört. Das Cover ist furchtbar! Ich finde es im Prinzip gar nicht so schlecht, da es sehr schön sommerlich und fröhlich aussieht. Ein hübsches Pärchen, das mitten im Sommer auf einer grünen Wiese sitzt. Aber nur im Prinzip - denn zu dieser Geschichte passt es mit dieser 0815-Liebes-Manier absolut nicht! Genau wie der Klapptext, der auch nur die Oberfläche streift, hat es mich in gewisser Weise lange Zeit davon abgehalten, es zu lesen, da man einfach eine nette Sommerromanze erwartet. Das finde ich sehr schade, da das Buch doch viel mehr als das beinhaltet. Auch der Titel ist mir ein Dorn im Auge. Der Originaltitel "The Book of Broken Hearts" passt da meiner Meinung nach viel besser, da er auf das Buch anspielt, in das die Hernandez Schwestern ihren Liebeskummer aufschreiben und es dann immer an die jüngere Schwester weitergeben. Eben "das Buch der gebrochenen Herzen". Dieses Buch spielt noch eine Rolle in der Handlung und hat außerdem auch eine aussagekräftige, symbolische Wirkung, die an Jugend und Kindheit erinnert. Wer das Buch gelesen hat, versteht, was ich meine. "Papi hatte alle Monster unter meinem Bett verjagt, mich über jeden Schmerz hinweggetröstet, und jetzt schloss ich die Augen und gestattete mir, so zu tun - nur eine Minute lang -, als würde er wider zu seiner alten Stärke zurückfinden. Als wäre er da, um meine Tränen zu trocknen, Mond und Sterne wieder aufhängen, wenn sie vom Himmel gefallen waren. Als würde er stets der Kluge sein, derjenige mit den richtigen Worten und Versprechen. Als würden wir niemals die Plätze auf dieser Bank tauschen müssen." Nun aber wirklich zum Inhalt: Jude ist die jüngste von vier Schwestern und die letzte, die noch zuhause bei ihren Eltern wohnt. Diesen Sommer verbringt sie weder mit ihren Freundinnen im Schwimmbad noch nimmt sie an der Aufführung der Theatergruppe teil: bei ihrem Vater wurde, mit gerade mal 52 Jahren, früheinsetzende Alzheimer festgestellt, und da ihre Schwestern weit von ihrem Elternhaus entfernt wohnen und die Mutter arbeiten geht, kümmert sich Jude um ihren Vater, den sie bloß liebevoll Papi nennt. Eines Tages entdeckt sie in der Garage ein altes Motorrad, das es schafft bei ihrem Vater die Erinnerungen an längst vergangene Zeiten wachzurufen, als er in Argentinien Mitglied einer Motorradgang war. Um ihrem Vater näher zu kommen und mit der Hoffnung, seine Krankheit durch die Erinnerungen an die Vergangenheit aufhalten zu können, sucht sie gemeinsam mit ihrem Vater nach einem Mechaniker, der die alte Harley ihres Vaters kostengünstig wieder in Stand setzen könnte. Dabei lernt sie Emilio kennen. Gutaussehend, nett, ein begabter und günstiger Mechaniker und das Beste: im Gegensatz zu ihren Freundinnen meidet er Judes Vater nicht, sondern akzeptiert ihn so wie er ist, -in seinen guten, aber auch in seinen hilflosen Momentan. Jude täte der zuverlässige Anker gut, nachdem die Last der Krankheit ihres Vaters alleine auf ihren Schultern liegt. Es gibt nur ein Problem: Emilio ist ein Vargas, und nachdem zwei seiner Brüder zwei ihrer Schwestern in der Vergangenheit das Herz gebrochen haben, haben die Hernandez-Schwestern einen Blutschwur auf das Buch der gebrochenen Herzen (The Book of Broken Hearts) geschworen, sich nie wieder mit einem Vargas einzulassen... "Der Knallertag, den ich bis dato gehabt hatte? Ging. In. Flammen. Auf. Der einzige Mensch in ganz Blackfeather, der uns helfen konnte – der Kerl, den wir gerade unbedingt hatten anheuern müssen –, war ausgerechnet der, den zu ignorieren ich den weiblichen Mitgliedern der Hernandez-Familie bei meinem Blut, bei meiner Ehre und unter Androhung des Verlustes sämtlicher Gliedmaßen geschworen hatte." Die Romeo-und-Julia-Thematik nimmt dabei auf angenehme Weise eine sehr moderate Rolle ein und lässt einem anderen Aspekt vortritt: Judes Umgang mit der Krankheit ihres Vaters. Sarah Ockler hat ein sehr trauriges aber realistisches Bild der Krankheit "Alzheimer" gezeichnet, welche in Jugendbüchern ja eher selten eine große Rolle spielt. Dabei kann man einiges lernen, besonders spannend ist es aber zu sehen, wie Jude den ständigen Spagat zwischen Fürsorge für ihren Vater und der Gestaltung ihres eigenen Lebens meistern muss. Statt unbeschwert das College beginnen zu können, wie andere in ihrem Alter, sich vielleicht fröhlich zu verlieben und ihre Zukunft zu gestalten, muss sie sich mit Krankheit, Sterben und Tod auseinander setzen, sich um den Haushalt kümmern, organisieren und vor allem stark sein. Für ihren Vater da sein. Erleben, wie seine Persönlichkeit vor ihren Augen verschwindet, während sie um letzte gemeinsame Erlebnisse mit ihm kämpft. Die 17 jährige Jude Hernandez ist ein sehr wechselhaftes Mädchen, was es einen manchmal schwer macht sie zu mögen. Zu Beginn erschien sie mir ein kleines bisschen zu Girly-mäßig, bis wir verstehen konnten, dass das alles bloß eine Fassade war und sie eigentlich leidet und überfordert ist. Sie ist wirklich ein unglaublich selbstloser Familienmensch, der alles dafür geben würde, ihren Papi wieder gesund zu sehen und kümmert sich rührend um ihn. Erst dachte ich, dass Jude deshalb total furchtlos und stark sein muss, so etwas durchzuziehen, aber das ist sie nicht. In dem ganzen Wirrwarr leidet sie aber sehr unter ihrem fehlenden Selbstbewusstsein und fühlt sich oft einsam und nicht beachtet, als vierte Tochter, die immer nur die Klamotten ihrer Schwestern trägt und viele Erinnerungen bloß erzählt bekommen hat. Da sie immer versucht es jeden recht zu machen, geschehen ihr immer wieder Fehler die so unnötig sind, dass es schon schmerzt. Ihre eigene Meinung wird sehr stark von ihren älteren Schwestern geprägt. Jedes Mal, wenn Jude drüber nachdenkt, ob der Junge vielleicht doch der Richtige ist, kommen doch schnell die Worte des Schwurs in ihren Kopf und sagt gleich „Nein das geht nicht, meine Schwestern würden es nicht wollen". Dadurch macht es umso mehr Spaß zu sehen, wie sie lernt, sich selbst zu finden und ihre entdeckte Meinung dann auch durchzusetzen. Als sie das dann schafft, habe ich sie immer mehr gemocht. "Es gab kein Zurück zu dem, was gewesen war, weil alles, was man bekam, stets das war, was ist. Ein Augenblick. Dann noch einer. Was man mit dem Augenblick anfing, lag ganz bei einem selbst. Bereue nichts." Emilio Vargas ist einfach klasse. Er hat zwei ältere Brüder und seine Eltern kommen auch aus Argentinien, wo sein Vater auch lebt. Seine beiden Brüder sind aus dem Haus und er ist damals von der Highschool abgegangen und arbeitet inzwischen als Mechaniker in einer Motorradwerkstatt. Er hat ein Faible für Oldtimermotorräder und sagt natürlich sofort zu, als er gefragt wird, ob er die Harley von Judes Vater reparieren soll. Auf den ersten Blick wirkt er, genau wie seine Brüder, wie ein Herzensbrecher, der nur mit den Frauen spielt, entpuppt sich aber als ehrlicher Kerl. Er ist charmant, lustig, verführerisch und gibt wunderbare Ratschläge, die einen wahren Kern haben. Er kann zwar manchmal ein ganz schön nerviger Angeber sein, aber man kann sich seinem Charme als Leserin trotzdem nicht entziehen und schließt ihn sofort ins Herz. ;-) "Emilio und seine Brüder waren zu Mittelstufenzeiten öfter Gegenstand von Jude-und-Zoe-Schmachtorgien gewesen als die Cullens, die Lightwoods oder irgendwelche anderen geheimnisvollen, wenngleich erfundenen bösen Jungs, für die wir damals geschwärmt hatten, und sie wäre ausgeflippt, wenn sie gewusst hätte, dass er wieder aufgetaucht war. Bei mir zu Hause. Und den ganzen Sommer bleiben würde." Dann gibt es da noch Zoe, eine von Judes Freundinnen. Zuerst lernen wir die beiden als Pech und Schwefel kennen, aber im laufe der Geschichte, zieht sich Zoe immer mehr zurück. Anders als Emilio kann sie nicht mit der Krankheit von Judes Vater umgehen, fühlt sich in seiner Gegenwart unwohl und versteht Judes Probleme nicht. Es ist sehr schade zu sehen, wie die beiden oft aneinander geraten und die Freundschaft immer mehr bröckelt. Judes Vater war aber mein Lieblingscharakter. Es tat mir wirklich unfassbar leid, dass er in seinem Alter schon mit dieser verdammten Krankheit zu kämpfen hat. Er kommt überhaupt nicht damit klar und rastet immer öfter aus, weil er etwas vergisst und ist nur wirklich klar, wenn er von seiner Zeit in Argentinien spricht, als er noch mit seiner Harley Valentina die Straßen unsicher gemacht hat. Eigentlich ist er ein wirklich lieber Vater, doch er kann den Kampf gegen den Schwund seines Gedächtnisses nicht gewinnen. Früher oder später muss es und seine Familie das akzeptieren. Als das Ende des Buches kam, brachten mich seine Worte fast zum Weinen, ich hätte ihm am liebsten in den Arm genommen. "Ich erinnere mich an alles, was mit diesem Motorrad zusammenhängt. Wir werden El Demonio schon zeigen, wer hier der Boss ist, he, Juju?" So nannte er es - den Dämon. Das teuflische Ding, das sich durch sein Gehirn fraß und seine Erinnerungen verschlang." Doch natürlich ist die Geschichte nicht nur traurig, sondern auch romantisch und schön. Das sie Geschichte in ihrem Zwiespalt an keiner Stelle kitschig wird, sondern immer authentisch und realistisch bleibt, fand ich wirklich bemerkenswert. Die Beziehung zwischen Emilio und Jude wirken so zerbrechlich und wackelig, was sehr gut zur Gesamtsituation passt. Erwähnenswert ist an dieser Stelle außerdem der Einwanderungs-Hintergrund der Charaktere, der der Geschichte noch ein bisschen Pepp verleiht: Judes Familie hat argentinische Wurzeln, Emilios Familie stammt aus Puerto Rico. Ein gewisses Feuer merkt man dem schwungvollen Stil durchaus an! Spanische Wörter, scharfe Essenskreationen und kulturelle Eigenheiten finden sich immer wieder. '"Bilder erzählen einem sowieso nicht die ganze Geschichte. Das war eine andere Sache an ihnen - sie waren stets ein sorgfältig ausgewählter flüchtiger Eindruck, eine Momentaufnahme, die man aus dem Zusammenhang gerissen hatte. Meine Bilder von Papi und Emilio und ihrer Arbeit am Motorrad fingen die Erfolge ein, die guten Tage, aber Papis Anfall in der Drogerie hatte ich nicht dokumentiert. Die Arzttermine. Die Sorgenfalten, die sich im Zuge der vielen schlechten Nachrichten in Moms Gesicht gruben." Nun noch ein paar Worte zum Schreibstil, den ich wirklich super gelungen finde! Die Geschichte wird aus Judes Perspektive erzählt und ist entsprechend jugendlich locker geschrieben. Dabei tritt immer mal wieder ihr sarkastischer Humor zu Tage, aber auch die ernsthaft beschriebenen Situationen mit ihrem Vater klingen authentisch. Dabei entwickelt sich der Stil eindeutig mit Jude mit - weniger luftig, immer ernster und auch tiefgründiger. Eine schöne Mischung, die gut zur Geschichte passt und sich gut lesen lässt. Die Kapitel sind außerdem nicht zu lang, aber auch nicht zu kurz - haben also die perfekte Länge, was für mich als typische Kapitelleserin von Vorteil ist. "Ist das der Mechaniker?" Mari bildete die Worte stumm mit den Lippen. "Heiß!" Ich versuchte auf meinem Stuhl tiefer zu rutschen, aber es gab kein Entkommen, daher grinste ich bloß und hoffte, Pancake würde anfangen, Französisch zu sprechen, damit ich erstaunt tun und 'Oh Mein Gott, Leute! Der Hund hat Bonjour gesagt!' rufen konnte." Das Ende ist dann bittersüß. Zum einen traurig, zum anderen aber schön. Eigentlich genau, wie das restliche Buch auch: Jugendbuch mit einer bittersüßen Note. So... zum Abschluss noch mein Lieblingszitat: "So war das mit Bildern. Egal wie wunderschön sie waren, es gelang ihnen nicht, den Teil des Augenblicks einzufangen, der sich aus tief empfundenen Gefühlen speiste. Das Leben war durch eine Linse betrachtet ein anderes, die Farben leuchteten weniger, die Schönheit besaß weniger Glanz." Fazit: Ein sommerlicher Liebesroman mit Tiefgang. Insgesamt sehr empfehlenswert, also nicht von Klapptext, Cover und Titel täuschen lassen!!!

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