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In Kopf und Herz des Wolfes – und voller Poesie Es gibt Kinderbücher, die kribbeln schon beim ersten in die Hand nehmen und flüstern, dass sie etwas ganz Besonderes sind. „Als der Wolf den Wald verließ“ ist so ein Kinderbuch! Schon das Cover ist wunderschön, aber wenn man das Buch aufschlägt, dann sind die Aquarelle und Zeichnungen in schwarz-weiß fast nochmal bestechender. Und die Geschichte steht diesen wundervollen Bildern in nichts nach. Sprache und Bilder lassen uns die Wolfswelt ganz hautnah erleben. Und voller Poesie! Flink, unser Ich-Erzähler, wächst in der Geborgenheit seiner Familie auf. Doch dann wird diese Familie zerstört und er muss sich ganz alleine durchschlagen. Dieses Leben ist gefährlich und diese Wolfsgeschichte ist auch immer wieder hart und traurig, aber Rosanne Parry schafft aber, dass Flinks Weg nicht düster wird. Und dann kommt wieder die Zuversicht, die Schönheit der Natur und ihre unbändige Kraft. Altersempfehlung Mein 8,5jährigen Sohn konnte die Geschichte so auch gut verarbeiten, weil es immer wieder so unglaublich schöne Momente gab und Flink am Ende auch gerettet wurde. Die Altersempfehlung ab etwa 9 vom Verlag ist sehr stimmig, ängstliche Kinder sollten das Buch aber erst etwas später lesen. Und durch die poetische Sprache ist es zum Selberlesen etwas kniffeliger. Wolfssicht Wir tauchen ganz tief in Kopf und Herz des Wolfes ein. Ja, wir fühlen, was er fühlt, in einer ganz poetischen Sprache. „Im Traum kann ich Flausch hören und riechen. Ich renne und renne und renne hinter ihm her, doch kaum entdecke ich ihn ein ganzes Stück vor mir, wache ich traurig und erschöpft wieder auf. Die Haut an meinem Bauch hängt schon schlaff herunter, aber ich spüre keinen Hunger. Nur eine große Leere.“ Mein Sohn hat das Buch ebenfalls geliebt und wurde dabei in ein ziemliches Gefühlsauf und -ab geworfen: Kaum war der Lieblingsbruder wiedergefunden, verlieren sich die beiden auch schon wieder. Mein Sohn meinte, dass man in dem Buch kaum Stellen findet, an denen man gut aufhören kann – weil es so spannend ist. Packend, ja, so haben sich die Wolfsgedanken angefühlt. Und es war toll, mit Flink über die Prärie zu laufen, mit ihm fühlen, ja sogar mit ihm zu jagen. Die Wolfsjagd geschieht voller Respekt vor und für das Leben. CN / Content Note: Jagd von Tieren aus Wolfsicht, Menschen jagen Tiere Die Wolfssicht beeinflusst in die Worte, die Flink benutzt und er findet oft ganz eigene für Ding. Manchmal mussten wir erstmal raten, was gemeint ist. Und umso schöner war dann das Gefühl, als wir es verstanden, wie der schwarze, stinkende Fluss, das ist die Straße. Toll war, wie der Gemeinschaftssinn der Wölfe betont wird. Flink ist auf der Suche nach seiner Familie und Freunden und findet sie auch jenseits seiner Art. Hier können wir uns alle beim Lesen einfühlen, denn das kennen wir als Menschen nur allzu gut. Parry bedient sich daher ganz besonders stimmig des Anthropomorphismus, des Zusprechen menschlicher Eigenschaften auf Tiere (und andere Wesen). Die deutsche Autorin und Wolfsforscherin Elli H. Radinger nennt den Wolf auch das Tier, das uns Menschen am ähnlichsten ist. Das wird in diesem Kinderbuch so deutlich, dass mich inspiriert hat, mich mit Radingers Buch noch mehr den Wölfen zu widmen. Einzig die Frauencharaktere könnten noch etwas stärker hervortreten, aber die meiste Zeit ist Flink einfach alleine. Und die Frauencharaktere, die es gibt, werden als gleichberechtigt gezeigt. In „Als der Wolf den Wald verließ“ wird deutlich, wie sehr der Mensch in den Lebensraum der Tiere und die Natur eingreift. Ich habe mich erst kürzlich bei einem Buch beschwert, dass vor dem Buch ein Vorwort die Interpretation vorweggenommen hat. Auch vor „Als der Wolf den Wald verließ“ gibt die Autorin ein kleines Vorwort, in dem sie den Lesenden eine weitere Interpretation auf den Weg gibt.Und hier ist das absolut gelungen, weil sie damit über die eh schon vielschichtige Geschichte eine weitere Ebene legt: Die Flucht des Wolfes spiegelt eben auch wider, dass viele Menschen weltweit auf der Flucht sind oder migrieren müssen. Der Schutz der Natur und der Würde von Menschen fließen so ineinander. Ich glaube, dass die Kinder beim Lesen nicht immer daran denken werden, aber das Gefühl dafür, wie schlimm es ist, seine Heimat verlassen zu müssen, das wird für sie ganz deutlich mitschwingen. Und während wir gelesen haben, wie Flink vor einem großen Waldbrand fliehen muss, glühte der Himmel über San Francisco tagelang rot. Kalifornien brannte. Das machte nochmal deutlicher, wie wichtig es ist, dass wir als Mensch die Natur schützen müssen. Und wenn es nur zu unserem eigenen Schutz ist. „Es gibt Dinge, gegen die sich ein Wolf wehren kann. Und Dinge, gegen die er machtlos ist. Ich muss weglaufen, doch in welche Richtung? Wenn mein Rabe da wäre, könnte er mir den Weg weisen.“ Nicht nur eine schöne, auch eine wahre Geschichte Und am Ende des Buches durften wir erfahren, dass wir nicht nur eine wunderschöne Geschichte gelesen haben, sondern auch eine wahre. Rosanne Parry hat ihre Geschichte an der Reise eines echten Wolfes angelehnt. Und so rundet sie dieses wundervolle Kinderbuch mit einigen Sachbuchseiten und Fotos ab, die Hintergrundinfos über Wölfe und den Wolf „Journey“ (Wanderer) geben. Fazit Einfach wundervoll und unser Kinderbuch-Highlight des Jahres! Begeisterte 5 von 5 Sternen!