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Buchdoktor

Posted on 14.12.2020

Patrick hat sein Leben als zukünftiger Autor genau geplant - er wird als Nachtportier in einem kleinen Hotel arbeiten und tagsüber an einem bedeutenden Roman arbeiten. Romane wachsen aus der Abwesenheit von Zwängen, nicht aus geregelter Arbeitszeit, ist seine Überzeugung. Auf die Inspiration wartet der Icherzähler noch immer; worüber sollte er auch schreiben können, wenn er noch nichts erlebt hat? Patricks Chef Gérard, der Besitzer des Hotels, zeigt tiefes Verständnis für die Schaffenskrise seines Angestellten. Er weiß, dass alle Schriftsteller aus Selbstschutz behaupten, nicht zu schreiben. Durch den Tod seines geliebten Großvaters gerät Patricks Leben aus dem Tritt. Die mittlere Generation seiner Familie zeigt sich unfähig, mit dieser Veränderung umzugehen. Patricks Vater leidet nach "zwanzig Jahren als Filialleiter" am Pensions-Schock, die Mutter befindet sich auf Selbstfindungstrip, um ihr Ausgebranntsein im Schuldienst zu verdrängen. Die betagte Großmutter wird von ihren Söhnen kurzfristig in ein Altenheim verfrachtet, ihre Wohnung und ihr gesamter Besitz ungefragt verkauft. Das einzig verständige Familienmitglied, das in dieser Situation mit der Großmutter fühlt, ist Patrick. Er nimmt wahr, wie sie der gesundheitliche Niedergang ihrer Mitbewohner deprimiert, und versucht sie mit seinen Besuchen aufzuheitern. Ungewöhnliche Gedanken entwickelt Patrick und zeigt erstaunliches Einfühlungsvermögen in Eltern und Großeltern. Schließlich erkennt der junge Mann mit den hochfliegenden Autoren-Plänen, dass der Knoten am Ende des Lebens seiner Großmutter nur dort zu lösen sein wird, wo sie als Kind gelebt hat - in Étretat am Atlantik. In Rückblenden nimmt uns der Autor mit zurück in die Zwanziger Jahre, als die Großmutter seines Ich- Erzählers, ausgelöst durch die Weltwirtschaftskrise, zu ihrem großen Kummer nicht mehr zur Schule gehen konnte. Foenkinos lässt den jungen Mann aus der Jugend der Großeltern und der Eltern erzählen, berichtet sogar aus Gérards Vergangenheit und aus den Erinnerungen des Vaters einer jungen Lehrerin. Gerade die Rückblenden lassen beim Lesen schmunzeln; offenbar hat der Erzähler selbst noch nicht realisiert, welch grandioser Stoff für einen großen Roman dort zu seinen Füßen liegt! Auch wenn die Schriftsteller-Karriere vielleicht ein Traum bleiben muss, durch eine verblüffenden Begegnung findet zumindest das karge Liebesleben des Erzählers ein Ende. Plötzlich passt ihm der Anzug seines Lebens. Nach einem deprimierenden Auftakt entwickelt sich "Souvenirs" zum berührenden Portait einer innigen Beziehung zwischen Enkel und Großmutter. Zugegeben, der Möchtegern-Schriftsteller hat mich anfangs mit seiner abgehobenen Sprache genervt, als er z. B. seine Großmutter nicht zum Frisör gehen ließ, sondern sie ihren Frisör "frequentieren" ließ. Je weiter er in die Geschichte seiner Familie eintauchte, umso liebenswerter wirkte der Erzähler auf mich. Der kauzige Humor, mit dem Foenkinos seinen Protagonisten erzählen lässt, macht seinen Roman zu einem heiteren, anrührenden Leseerlebnis.

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