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Für mich der erste Fall von Gereon Rath, es ist aber der Fünfte, und für mich ist klar, es wird für mich weitergehen mit Rath. Der Plot ist nach Berlin in die Zwischenkriegszeit gelegt, 1933, Hitler ist Reichskanzler und die Braunen nehmen überall mächtige Positionen ein, auch bei der Polizei. Ein Obdachloser ist erstochen am Nollendorfplatz gefunden worden. Seine Vorgeschichte führt zurück in den Ersten Weltkrieg, in den März 1917: «Operation Alberich», deutsche Soldaten räumten das Gebiet beiderseits der Somme, verwüsteten das französische Gebiet mit der Kriegstaktik, «verbrannte Erde» zurücklassen, um dem Gegner die militärische Nutzung weitgehend unmöglich zu machen. In diesem Fall behauptet ein Schriftsteller, Freiherr von Roddeck, einige Soldaten haben damals unterschlagene Goldbarren vergraben, eine Sprengfalle gebaut, die aber explodierte, und der Hauptmann der Truppe sei ums Leben gekommen. Vielleicht habe er doch überlebt, meint von Roddeck, und er morde nun Kameraden. Er bittet um Polizeischutz, da diese Geschichte in seinem Roman veröffentlicht ist. Gereon Rath ist mit dem Aufstieg der Nationalsozialisten konfrontiert, die NSDAP wird bei der Reichstagswahl im März zur stärksten Partei. Das Klima der Weimarer Republik, die Jubelschreie auf der einen Seite und die Angst auf der anderen Seite, werden gut transportiert. Rath wird kurz zur Politischen Polizei versetzt und muss mit Entsetzen feststellen, dass hier rein gar nichts mit dem Gesetz zugeht. Kommunisten und Sozialisten werden verhaftet, von der SA brutal verhört, sein Chef auf einen Pförtnerposten versetzt. Selbst Adenauer, der Bürgermeister von Köln, Vorsitzender der Zentrumspartei, muss fliehen, so erfährt Rath von seinem Vater, der mit Adenauer befreundet ist. Immer offener werden Juden bedrängt. Familien geraten in Streit, Hitlerverehrer gegen Hitlerhasser. Rath glaubt wie viele, ein paar Jahre werde man die NAZIS ertragen müssen, dann wählt man sie wieder ab – so ist der Lauf der Welt. Man muss nur abwarten. «Mein Gott, Charly! Du kannst doch nicht den ganzen Tag Trübsal blasen, nur weil jetzt die Nazis regieren. Das ist doch nur Politik! Das Leben geht weiter.› ‹Das hört sich an, als hättest du die Demokratie schon längst aufgegeben. … Es hört sich an, als sei dir die Demokratie scheißegal.» Politik hat Rath nie interessiert, wie die Meisten. Spinner kommen und gehen. Seine Verlobte, Charly, ist da ganz anderer Meinung. Sie ist Polizeianwärterin, will dem gesellschaftlichen Geschehen nicht tatenlos zusehen. Nebenbei muss Rath einen Geschäftsfreund des Gangsterbosses Johann Marlow aus den Klauen der SA befreien, und er recherchiert privat in seinem Fall weiter, weiter als seine Kompetenzen gehen. Charly hilft einem Straßenkind und vieles mehr. Der Roman ist komplex und die Handlung wird aus verschiedenen Perspektiven gezeigt. Ein eiskalter Schauer läuft einem bei diesem Stoff über den Rücken, so erbarmungslos einfühlsam transportiert Kutscher den Leser / Hörer zurück in diese Zeit. Gewalt ist an der Tagesordnung, Andersdenkende werden brutal eliminiert, Bücher werden verbrannt, gegen Juden wird gewalttätig vorgegangen. Rath wurschtelt sich durch die neuen Machtbereiche im Polizeipräsidium, versucht, nicht anzuecken, aber dem Recht gerecht zu werden. Ein außergewöhnlich dichter und bildreicher Krimi, der die Machtergreifung ziemlich gut darstellt. Volker Kutscher, geboren 1962, arbeitete nach dem Studium der Germanistik, Philosophie und Geschichte zunächst als Tageszeitungsredakteur, bevor er seinen ersten Kriminalroman schrieb. Heute lebt er als freier Autor in Köln. Kutschers erster Gereon-Rath-Roman, «Der nasse Fisch», wurde unter der Regie von Tom Tykwer, Achim von Borries und Henk Handloegten, die auch die Drehbücher verfassten, unter dem Titel «Babylon Berlin» als Kriminal-Fernsehserie verfilmt. Die Serie war auf zunächst zwei Staffeln angelegt und feierte ihre Premiere Ende September 2017. Zwei weitere Staffeln folgten und die dritte Staffel basiert auf dem zweiten Gereon-Rath-Roman «Der stumme Tod.» Die vierte Staffel basiert auf dem Roman «Goldstein» der im Sommer 1931 zur Zeit der Weltwirtschaftskrise spielt.