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Buchdoktor

Posted on 9.12.2020

Ursula LeGuin zeichnete zuerst den Archipel Erdsee und Chris Riddell zeichnete zuerst die Klippe, auf der die Klippenland-Chroniken spielen sollten. Huw Lewis-Jones befasst sich in seinem üppigen Atlas zum großen Teil mit Landkarten fantastischer Welten und ihren Schöpfern, den Autoren und Kartografen. Am Beginn jedes Abenteuerromans und jedes fantastischen Romans steht der Schauplatz, egal, ob es sich „nur“ um einen Garten, eine Stadt, Burganlage oder einen ganzen Erdteil handelt. Im Prolog berichtet der Herausgeber, wie seine Faszination für Karten bereits in der Grundschule geweckt wurde, als seine Klasse den Schulhof abschreiten und eine Karte davon zeichnen sollte. Huw Lewis-Jones befindet sich mit dieser Anregung in früher Kindheit in guter Gesellschaft; denn nahezu alle Autoren und Kartografen, die hier zu Wort kommen, hatten frühe Förderer, die ihre Liebe zu Abenteuern weckten. Herausragend waren für mich Abi Elphinstones Kindheit in Schottland, in der sie und ihre Geschwister schon einmal versehentlich in eiskalte Flüsse tappen konnten. Ihre Kindheit war geprägt von einer realen blauen Tür, hinter der ihre Eltern sie direkt hinter dem Haus zu wahren Abenteuern führten, wie der Suche nach einem Adlerhorst. Als jugendliche Leserin brauchte sie selbst Karten, um der Handlung mit dem Finger auf der Karte folgen zu können. Beim Schreiben fügte Elphinstone ihre fantastischen Welten in reale Messtischblätter ein; denn als Legasthenikerin benötigt sie unbedingt das Visuelle zu ihren Geschichten. Der Übergang zwischen der realen und der fantastischen Welt wird nahezu in jedem Kapitel thematisiert. Bemerkenswert auch Helen Moss, die als Kind von Abenteuern in China, Tibet und in Wüsten las und natürlich von der Bezeichnung „Leeres Viertel“ für eine gewaltige Wüste fasziniert war. Auch Moss berichtet von der frühen Förderung durch ihren Vater. Cressida Cowell verbrachte ihre Ferien regelmäßig mit der Familie auf einer unbewohnten Insel. Wen wundert es, dass eine Frau, die sich als Kind vorstellte, wie am Ufer Wikinger-Horden landen würden, später Illustratorin wurde. Schließlich hat mich die Begegnung mit Reif Larsen erfreut, der Karten und Skizzen nutzt, um die Denkweise seines höchst sonderbaren Helden T.S. Spivet zu kartieren. Es sind erschreckend wenige Karten, die ich spontan wiedererkannt habe, so dass ich mich beunruhigt fragen muss, wann ich all diese tollen Bücher lesen soll, zu denen der Herausgeber und seine Autoren mich hier erfolgreich geködert haben. Huw Lewis-Jones Prachtband liest sich wie das Who's Who der Abenteuer- und fantastischen Literatur. Warum Autoren Karten brauchen, selbst wenn diese Karten später nicht im Buch erscheinen, kann man darin erfahren, wie Autoren von ihrer Kindheit und eigenen Leseerfahrungen geprägt wurden, und schließlich, welche künstlerischen Talente sich hinter Karten fantastischer Welten verbergen. Der Originaltitel „The Writer's Map: An Atlas of Imaginary Lands” gefällt mir um Welten besser als der übersetzte Titel - und für einen Prachtband wie diesen würde ich mir ein Lesebändchen wünschen. Wer Abenteuerliteratur und Fantastik liest und sich dafür interessiert, was erfolgreiche Autoren früher einmal für Kinder waren, der/die kann mit dem Buch ein paar zufriedene Ferientage verbringen.

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