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Buchdoktor

Posted on 9.12.2020

Egidius Arimond lebt in den 40ern des vorigen Jahrhunderts als Imker in der Eifel, nahe der belgischen Grenze. Seine Bienen hat er vom Vater übernommen, zusammen mit der Familiengeschichte, die sich auf den Vorfahren Ambrosius Arimond bezieht, der aus den italienischen Alpen stammte. Egidius hat - aufgrund seiner politischen Einstellung - unter dem Nationalsozialismus seine Stelle als Latein- und Geschichtslehrer verloren; er wurde als Epileptiker und damit „nicht lebenswerter Volksschädling“ bereits interniert und zwangssterilisiert. Egidius' Epilepsie hat sich nach einer langen Latenzphase in letzter Zeit verschlimmert. Ohne regelmäßig Medikamente zu nehmen, wird sein Leben bald ein Ende haben. Geht Egidius zum Arzt - bedeutet das Deportation. Der Mann hat nur so lange überleben können, weil sein Bruder Alfons (als hochdekorierter Bomberpilot unangreifbar) ihn mit Medikamenten versorgt – und weil Egidius sich dafür bezahlen lässt, dass er Flüchtlinge verbirgt und in seinem Fuhrwerk zum Transport von Bienenkästen über die Grenze nach Belgien bringt. Zu Beginn der Handlung 1944 versorgt Egidius seine Bienen, übersetzt Dokumente seines Vorfahren Ambrosius (um 1489) aus dem Lateinischen und führt ein geheimes Tagebuch, in dem er auch Informationen verbirgt, die nichts mit der Imkerei zu tun haben. Der dramatische Countdown in Form chronologischer Einträge steht in bedrückendem Verhältnis zu Egidius nüchternem Chronisten-Ton. Mit dem Wissen des Lesers, dass vor dem chronisch Kranken noch ein Jahr liegt, bevor der Zweite Weltkrieg beendet sein wird, laufen die Handlungsfäden um die Wette: Wird Egidius das Kriegsende überhaupt erleben, wird er sich während eines Anfalls selbst verraten, wird ihn einer seiner Flüchtlinge in Panik verraten? Oder wird ein amerikanischer Soldat aus einem abgeschossenen Flugzeug, der sich offensichtlich in der Gegend versteckt, Egidius Tod bedeuten, der dessen Anwesenheit ahnt und den Mann nicht denunziert? Der Chronist wird sicher von Eintragung zu Eintragung damit gehadert haben, dass sein Tod zugleich den Tod seiner Bienenvölker bedeuten wird, wenn sich in den Kriegswirren niemand ihrer annimmt. Egidius schreibt in sachlich-nüchternem Ton Tagebuch und stellt allerlei Analogien zwischen Bienenvölkern, kriegführenden Staaten, dem Klosterleben und Bibliotheken her. Allein sein Imker-Wissen empfinde ich als beeindruckendes Erlebnis, von seiner Orts-Kenntnis der Eifel, seinem historischen Wissen, seiner Arbeit über Cusanus (Nikolaus von Kues) und den Erinnerungen an seine Berufstätigkeit in Ägypten ganz zu schweigen. Ein beeindruckender Roman. (25.8.2019)

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