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Buchdoktor

Posted on 6.12.2020

Greer Kadetzky konnte die Schuld auf ihre unzuverlässigen Hippie-Eltern schieben. Weil ihr Vater den Finanzierungsantrag für das College seiner 18-jährigen Tochter unvollständig ausgefüllt hatte, bekam sie ein volles Stipendium nur an einem mittelmäßigen College, musste ihre Pläne für eine Elite-Uni begraben und die räumliche Trennung von ihrer großen Liebe Cory hinnehmen. Cory, als Kind von Einwanderern aus Portugal, hatte sich im Gegensatz zu Greer um seinen Finanzierungsantrag gekümmert. Doch das Ryland öffnet Greer eine Tür zur entscheidenden Begegnung mit Faith Frank, einer charismatischen Frauenrechtlerin. Nicht etwa Greers Freundin Zee, Aktivistin gegen den Klimawandel und manch Anderes, wird von Faith wahrgenommen, sondern die schüchterne Greer, die bisher zwar antworten konnte, aber noch keine Ansichten vertreten hat. „Das weibliche Prinzip“ war der Titel von Faith‘ erstem Buch. Faith kommt 2006 als Referentin nach Ryland, weil sie mit der Prorektorin befreundet ist. So laufen Dinge, über die Greer bisher noch nicht nachgedacht hat. Cory fühlt sich nach dem Examen verpflichtet, als Unternehmensberater Geld zu verdienen und seine humanitären Ideale auf später zu verschieben. Greer beginnt unter Faith‘ Leitung bei LOCI zu arbeiten, einer Stiftung, die von Prominenten und Unternehmen überwältigende Geldbeträge für Frauenprojekte heranschafft, Macht und Einfluss dieser Stiftungen jedoch unkritisch gegenübersteht. Ob finanzkräftige Stiftungsgeber in sozialen oder medizinischen Fragen das letzte Wort sprechen sollten, darf gern kritischer gesehen werden als bisher. Greer muss ihren Lebensunterhalt verdienen, und sie will unbedingt von Faith geliebt und anerkannt werden. Für beide Ziele ist sie bereit, sich selbst zu verbiegen; von Idealen oder Werten, für die sie eintritt, kann bei ihr noch nicht die Rede sein. Welche Kernthemen Greer mit Anfang 20 prägten und welche Motivation sie in ihren College-Jahren entwickelte, bleibt im ersten Teil des Romans leider weitgehend im Dunklen. Dass sie ihre College-Bewerbung schleifen ließ im Wissen darum, verplante, an ihrer Zukunft desinteressierte Eltern zu haben, ließ sie als Figur auf mich in erster Linie passiv wirken. Greers unbewusste Erwartungen, von der über 45 Jahre älteren Faith irgendwie bemuttert zu werden, warfen spätestens im Kapitel über Faith die Frage auf, wer einmal den Staffelstab der Frauenbewegung übernehmen soll. Greers Generation scheint dafür zu unreif, zu unselbstständig: Die "Bemutterung" durch Ausbilderinnen und Mentorinnen fehlt ihnen spürbar. Um 1990 geborene Frauen wie Greer ernten zwar die Früchte dessen, was Faith‘ Generation erkämpfte (indem sie nicht mehr auf irgendwelchen Küchentischen illegale Schwangerschaftsabbrüche vornehmen lassen müssen); am Beispiel von Faith und ihrem Zwillingsbruder wird die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen jedoch deutlich, die Frauen einmal auf die Straße brachte. Greers Generation hält es allerdings selten für nötig, früher erkämpfte Standards zu halten, weil sie zu stark mit ihrer verzögerten Reifung und dem rein finanziellen Überleben beschäftigt ist. Diesen Reifungs- und Nachfolge-Konflikt beschreibt Meg Wolitzer so treffend, dass sich die Lektüre ihres Romans trotz anfänglicher Längen lohnt. Wolitzer widmet ihr Buch den Mentorinnen, die ihr Leben als Frau und Autorin in die Spur brachten. Sprachlich finde ich den Text streckenweise überzogen, wenn banale Alltagsereignisse in gewaltigen Sprachbildern vermittelt werden. „Das weibliche Prinzip“ lese ich als Roman über eine Gesellschaft ohne Plan, wie die Bemutterungs- und Bevaterungslücke bei ihrer jüngeren Generation geschlossen werden kann und schließlich als kritischen Text, welche "Schwesternschaft" Frauen sich schaffen.

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