Buchdoktor
Die 9-jährige Robin Conrad lebt in der südafrikanischen Bergarbeitersiedlung Boksburg; ihr Vater arbeitet als weißer Vorarbeiter in einer Goldmine. Wie alle weißen Kinder im Südafrika der Apartheid kennt Robin Schwarze nur als Hauspersonal, das in eigenen Quartieren im Garten der Wohnhäuser oder in Townships außerhalb der Städte lebt. Wenn ihr Kindermädchen Mabel in Abwesenheit der Eltern spätabends bei Robin bleibt, ist es selbstverständlich, dass Mabel auf dem Fussboden schläft. Am Tag des Schüleraufstands von Soweto werden Robins Eltern getötet und sie kommt zu ihrer kinderlosen Tante Edith, die mitten in Johannesburg in einem Hochhaus lebt. An diesem 16. Juni 1976 ist Beauty Mbali nach langer Reise aus dem schwarzen Homeland Transkei in Johannesburg angelangt, auf der Suche nach ihrer Tochter Nomsa, die in der Stadt zur Schule geht. Beauty gerät mitten in den Aufstand, der von Polizei und Militär mit brachialer Gewalt gegen die protestierenden Kinder niedergeschlagen wird. Bianca Marais erzählt in der Ichform abwechselnd aus Robins und aus Beautys Sicht. Da die Ursachen für den Schüleraufstand von 1976 nicht in drei Sätzen erklärbar sind, hat mich die Autorin sofort für ihr Buch eingenommen, indem sie begreifbar macht, dass die Einführung von Afrikaans als Unterrichtssprache in der Oberstufe schwarze Schüler benachteiligen wird. Robin erlebt als Kind bereits sehr eindringlich, dass ihr Englisch leichter fällt und sie sich von der Afrikaans sprechenden Minderheit herablassend behandelt fühlt. Weil Edith so schnell keinen anderen Job findet, muss sie weiter als Stewardess arbeiten und braucht eine Betreuerin für Robin. Durch einen glücklichen Zufall wird ihr Beauty vermittelt, die für eine schwarze Frau ungewöhnlich gebildet ist – und bitte nicht wie eine „Maid“ behandelt werden sollte, wie Edith Robin eindringlich klarmacht. Die beiden Frauen und Robin bilden von nun an eine Notgemeinschaft. Edith kann unbesorgt arbeiten; Beauty erhält Arbeitspapiere, ohne die sie sich nicht außerhalb der Transkei aufhalten dürfte - und nicht weiter nach Nomsa suchen könnte. Aus einem konspirativen Netz von Apartheids-Gegnern erhält Beauty die Information, dass Nomsa evtl. über die Grenze in ein Nachbarland gebracht worden sein könnte, dass sie sich jedoch mit höchst gefährlichen Leuten eingelassen hat. Beauty und Robin müssen sich zunächst zusammenraufen. Robin war ein wildes, abenteuerlustiges Kind, ehe sie zu Edith kam, das seine kindlichen Ängste im Gespräch mit einer imaginären Schwester bewältigte. Beautys Geduld stellt Robin anfangs auf eine harte Probe, sie gehorcht nicht, schnüffelt Beauty nach, zutiefst verunsichert, ob ihre Betreuerin sie wegen Nomsa wieder mit der chaotischen Edith allein lassen könnte. Die ausgedachte Cat wird von Beauty sofort akzeptiert und spielt fortan eine wichtige Rolle in der Bewältigung von Robins Trauer um ihre Eltern und um ihr Kindermädchen Mabel, von dem sie sich im Stich gelassen fühlt. Robin ist mit glasklaren rassistischen Werten von der Überlegenheit der Weißen aufgewachsen, die sie anfangs so nachplappert, wie sie sie von anderen gehört hat. Erst durch die Begegnung mit Beauty stellt sie die Weisheit infrage, es gäbe keine schwarzen Lehrerinnen, aber auch das Gesetz der Apartheid, dass schwarzes Personal nicht in der Wohnung des Arbeitgebers zu schlafen hat. Beautys Suche nach Nomsa nimmt durch Robins Eingreifen schließlich die Form einer gefährlichen, nicht immer realistischen Abenteuergeschichte an, zu der einige sehr positiv dargestellte Helfer beitragen. Bianca Marais Roman soll ihrem eigenem Kindermädchen Eunice ein Denkmal setzen. Die Darstellung des Alltags in einem rassistischen Staat aus der Sicht einer bis dahin behütet aufgewachsenen Neunjährigen finde ich außerordentlich gelungen. Leider schlägt die Autorin mit ihrem Vorsatz zu stark über die Stränge, ihren Lesern möglichst viel über das Südafrika der 70er Jahre zu vermitteln. Dass sie neben dem Schüleraufstand zusätzlich Antisemitismus und Homophobie in den ohnehin umfangreichen Plot einbaut, finde ich weder für die damalige Zeit glaubwürdig noch für Robins emotionale Situation. Ein weniger deutlicher pädagogischer Zeigefinger und eine für ihr Alter glaubwürdiger handelnde 9-Jährige hätten aus dem anrührenden Roman einen sehr guten Roman machen können.