Buchdoktor
In „Drei Frauen“ verknüpft Lisa Taddeo die sexuellen Biografien dreier Frauen, die in schwierigen Verhältnissen in der (teils katholisch geprägten) amerikanischen Provinz aufwachsen, wo das Reflektieren archaischer Rollenvorstellungen auch in diesem Jahrhundert noch nicht vorgesehen ist. M a g g i e lässt sich als 16-Jährige in eine Affäre mit einem sehr viel älteren Mann ein, von dem sie sich erhofft haben könnte, dass er sie wie der Märchenprinz aus schwierigen Verhältnissen auf seine Insel holt, ohne dass sie in eine Partnerschaft selbst etwas einzubringen bräuchte. Rettung aus dieser Situation sucht sie ausgerechnet bei ihrem Lehrer. Jahre später steht der Prozess gegen diesen Lehrer bevor. Maggie wird dabei mit allen Qualen ihrer Jugendjahre konfrontiert, der Doppelmoral des ritualisierten Datings amerikanischer Teenager, des Slut-Shamings, an dem sie selbst nicht unbeteiligt ist, und schließlich des Victim-Blamings, das – obwohl gesetzlich verboten – vor Gericht zur Diskreditierung der Opfer sexueller Gewalt durch die Verteidigung eingesetzt wird. L i n a wollte einen Ehemann, ein Haus und Kinder. Sie bekam, was sie sich wünschte, aber von ihrem Mann keine Zärtlichkeit und verzehrt sich nach ihrer unerfüllten Jugendliebe Aidan. S l o a n e stammt aus wohlhabenden Verhältnissen, in denen Sommerhäuser, private Flugzeuge und Studieren an Eliteuniversitäten die Norm sind. Sie lernt ihren Mann Richard beim Jobben in der Gastronomie kennen und gründet mit ihm ein Restaurant in einem Küstenort in Rhode Island. Schon früh hatte Sloane Sex zu dritt und behält das in ihrer Ehe bei. Die drei Biografien werden in Rückblenden abwechselnd und abschnittweise entwickelt. Für den an sich banalen Inhalt finde ich diesen Aufbau zu ambitioniert. Indem sie u. a. die Sicht ihrer Figuren einnimmt, vermeidet die Autorin eine kritische Auseinandersetzung mit den Rollenbildern der jungen Frauen. Taddeo kündigt zwar an, über weibliche Sexualität und weibliches Begehren zu schreiben, tatsächlich schreibt sie über die Unterwerfung von Frauen und Sex als Währung im Tausch gegen Schutz und Versorgung. So verkündet Taddeo die fragwürdige Einsicht, der männliche Sexualtrieb sei unkontrollierbar und Männer seien demnach nicht Herr ihrer Triebe. Substanziell Neues, das ein rückwärtsgewandtes Frauenbild in den USA der Gegenwart erklären könnte, ist von ihr nicht zu erwarten. Dafür findet man charakteristische Aussprüche der drei Figuren, die im Gesamtbild vieles nachvollziehbar machen, wie „Sie mochte es, wenn man Entscheidungen für sie fällte“. Alle drei Frauen suchen beim Partner die fehlende Anerkennung eines Elternteils, wollen aus schwierigen Verhältnissen gerettet werden, sind für das Leben nach der Schule unvorbereitet oder hätten bereits als Jugendliche therapeutische Hilfe gebraucht. Unübersehbar geht es hier auch darum, wie Frauen mit anderen Frauen umgehen und dass in Cliquen Jugendlicher jedes Mädchen selbst seinen Teil zur Stützung frauenverachtender Strukturen beiträgt. Lisa Taddeo schrammt teils scharf am Kitsch vorbei („ihre Seele lächelt zu Gott herauf“, „ihr Herz bricht“) und lässt leider nicht zu, dass ihre Figuren die eigene Entwicklung reflektieren. Beim Thema Lust und Begehren ist die Autorin keine völlig neutrale Berichterstatterin; denn sie wurde in ihrer Kindheit von der Sprachlosigkeit ihrer eigenen Mutter geprägt, die als junge Frau über lange Zeit von einem Fremden sexuell gedemütigt wurde und sich nicht zu helfen wusste. Nach eigener Aussage hat Taddeo aus einer Fülle von Recherchematerial die Biografien ausgesucht, die sie für nachvollziehbar hält und die Mitgefühl auslösen könnten. Gut 2 Jahre nach Beginn der Me-too-Bewegung wartet „Drei Frauen“ zwar mit einer Fülle expliziter Sexszenen auf, trägt jedoch wenig Substanzielles dazu bei, warum das Bedürfnis von (amerikanischen) Frauen, sich zu unterwerfen und auf Rettung durch einen Märchenprinzen zu warten, stärker zu sein scheint als je zuvor.