Buchdoktor
Greta Thunberg polarisiert. Die Vermutung liegt nahe, dass sich an ihr und der Bewegung Fridays for Future ein lange aufgeschobener Generationskonflikt entzündet. Thunbergs Generation wirft den heute 20-50-Jährigen vor, auf politischer Ebene reine Klientelpolitik zu betreiben und in Fragen des Überlebens zu versagen. Drei Generationen stehen sich gegenüber: Generation X umfasst nach deutscher Rechnung die auf die Babyboomer folgenden 1965-1980 Geborenen (andere Länder definieren die Boomer abweichend), Y die in den frühen 80ern bis späten 90ern geborenen Millennials und Z die in diesem Jahrtausend Geborenen der Generation „Greta“. Das englisch ausgesprochene Y steht für das „Why“ des steten Hinterfragens. Aus der Sicht der Generation Z stehen ihrer Altersgruppe zwei verknöcherte, zahlenmäßig überlegene Generationen gegenüber, die unfähig sind, Konzepte für die unmittelbare Zukunft zu entwickeln. Jugendforscher Hurrelmann beschreibt diese Übermacht euphemistisch als politisch zurückhaltend und auf der Suche nach individualistischen Lösungen zwangsläufig konsensorientiert, andere Stimmen charakterisieren die im Wohlstand aufgewachsene Generation Golf als unpolitisch und verwöhnt. Eine Auseinandersetzung fand allenfalls mit „linken Lehrern der 68er-Generation“ statt, jedoch nicht mit den Werten der Elterngeneration. Der nun offensichtlich mit aller Härte ausgetragene Generationskonflikt zeige sich u. a. in der Abstimmung über den Brexit, als eine alternde Bevölkerung zur Sicherung eigener Privilegien beharrlich gegen die Zukunft ihrer Kinder und Enkel stimmte. Den treffenden Begriff der Generation, die es geschafft hat und hinter sich die Leiter hochzieht, damit die folgende Generation auf dem Weg nach oben abgeschüttelt wird, werde ich so bald nicht wieder vergessen … Vorbild für Greta Thunberg sei Emma Gonzáles von der Parkland Highschool gewesen, die ihrer Generation USA-weit Gehör verschaffte, als die Elterngeneration sich unfähig zeigte, politisch endlich eine Änderung des amerikanischen Waffengesetztes durchzusetzen und damit die Zukunft ihrer Kinder opferte. Greta Thunbergs Handeln sei – so Hurrelmann/Albrecht - bestimmt durch ihre Persönlichkeit mit Asperger-Syndrom, Mutismus und einer Zwangsstörung und damit aus ihrer Sicht völlig logisch. Hurrelmann und Albrecht charakterisieren die Generation Greta mit Blick auf ihr politisches Engagement, ihre Forderungen an das Bildungssystem, ihre Ansprüche im Arbeitsleben und ganz privat mit ihren Vorstellungen von Sexualität und Partnerschaft. Aus Redebeiträgen junger Gesprächspartner und aktuellen Zahlen entsteht das Bild einer Generation, die schnell Einfluss und Verantwortung übernehmen will, ohne sich politische Ämter erst durch jahrelange Schriftführer-Tätigkeit in einer Partei verdienen zu müssen. Wie hilflos deutsche Politiker im Umgang mit Jugendlichen fremdeln, wirkt dabei ebenso deprimierend wie die Aussage 16-jähriger (bereits wahlberechtigter) Ostdeutscher, Politik sei zu kompliziert. Ein Blick auf Zahlen zum Wahlverhalten junger Erwachsener illustriert eindrucksvoll, welche Gruppen zu Populismus neigen und einen starken Staat fordern und welche den gesellschaftlichen Wandel mittragen. Ernüchternd stellen die Autoren die Situation abgehängter junger Männer dar, die sich vom gesellschaftlichen Wandel überfordert fühlen und sich mit Beharren auf Macho-Mustern ihren Schulerfolg und damit ihren Lebensweg verbauen könnten. Die eloquenten und medienerfahrenen Sprecher der FfF-Bewegung zeigen eine Seite der Medaille, Schüler, über die Lehrer hier berichten, die ein Smartphone benutzen, aber Inhalte kognitiv nicht begreifen können, die andere Seite. Das sehr aufschlussreiche Kapitel über Schule konfrontiert uns damit, dass sich die - längst bekannte - Spaltung der derzeitigen Schülergeneration in privilegierte und gesellschaftlich abgehängte Jugendliche laut neuester PISA-Studie weiter vertieft hat. Die Beschreibung der Generation Z wirkt sehr authentisch, weil verschiedene Interviewpartner zu Wort kommen. Dennoch fallen Widersprüche in ihren Forderungen auf, die die Autoren in ihrem kompakten Überblick nicht vertiefen. Die Vorstellung dieser Generation von ihren Eltern als Freunde und Berater einerseits und Rollenbilder, die kaum von der Zuverdiener-Ehe der eigenen Eltern abweichen, andererseits sollten sehr kritisch gesehen werden. Solange im Hotel Mama die Wäsche fertig gebügelt in den Schrank gelegt wird und man selbst bisher keine Verantwortung für Care-Arbeit in der Familie trägt, lässt sich klimaschonendes Verhalten theoretisch leicht einfordern. Dass das deutsche Schulsystem sich verändern muss, wissen wir seit PISA 2000, Forderungen allein an die „verhaltensstarre“ Generation der nach 1965 geborenen Politiker und Lehrer zu stellen, finde ich etwas zu naiv. Das Erkennen des eigenen privilegierten Status (nur 5% der Altersgruppe halten die FfF-Bewegung in Gang) sollte m. A. für Generation Greta Anlass sein, in der eigenen Alterskohorte Peer-to-Peer Projekte gegen die zunehmende gesellschaftliche Spaltung zu entwickeln, anstatt nur zu fordern. „Generation Greta“ liefert Zahlen und ausführliche Quellenangeben zur Vertiefung des Themas, u. a. aus der aktuellen Shell-Studie 2019. Mit seiner klaren, verständlichen Sprache, übersichtlichem Layout samt Zwischen- und Seitenüberschriften lässt der Text sich problemlos lesen – nicht nur von Erwachsenen.