Profilbild von Buchdoktor

Buchdoktor

Posted on 1.12.2020

Eine enge gegenseitige Abhängigkeit verbindet „Master“ Odenigbo und seinen Hausboy Ugwu, der mit circa 10 Jahren in dessen Haushalt kommt. Ugwu scheut sich vor keiner Arbeit und verkündet stets optimistisch, Master, ich kümmere mich darum, ich kann das, selbst wenn er das Geforderte noch nie zuvor getan hat. Ugwu erlebt im Dienst bei Odenigbo seine prägenden Jugendjahre. Auch Odenigbos Lebensgefährtin Olanna nimmt Ugwu in sein Herz auf und verteidigt "seine Herrin" gegen jeden nur vorstellbaren Angriff. Olanna und ihre Zwillingsschwester Kainene begehren jede auf ihre Art gegen die Moralvorstellungen ihrer Eltern auf. Der Vater der Frauen ist ein traditioneller Stammes -„Chief“. Kainene lebt mit einem weißen britischen Autor zusammen, der ursprünglich ein Buch über Nigeria schreiben wollte und durch den Biafra-Konflikt unfreiwillig zum Kriegsberichterstatter wird. Unter den Schwestern herrscht die unausgesprochene Übereinkunft, hauptsächlich Olanna müsse den Eltern gefallen, traditionell heiraten und Enkelkinder in die Welt setzen. Odenigbo, obwohl Angehöriger der bürgerlichen Mittelschicht mit Studienabschluss in England, spielt die Rolle des leichtfertigen Liebhabers, der seine Partnerin betrügt, sowie sie nur das Haus verlässt. Die Generation der beiden Schwestern steht stellvertretend für eine moderne, gebildete Generation, die in einen hartnäckigen Machtkampf gegen den Aberglauben der Elterngeneration verwickelt ist. So reist Odenigbos Mutter frohgemut aus ihrem Heimatdorf an, um mit Hexenkräften ihren Einfluss auf die Lebensplanung ihre Sohnes geltend zu machen. Als der Biafra-Krieg ausbricht, verlieren Odenigbo, Olanna und die kleine Tochter „Baby“ ihre Heimat und müssen sich in die Flüchtlingsströme einreihen. Den Erwachsenen und Ugwu wird mit jedem Tag deutlicher, wie gefährdet jeder in dieser eingeschworenen Familiengemeinschaft durch die politischen Ereignisse ist. Die „Hälfte der Sonne“ tritt im Buch als Uniformabzeichen der Soldaten Biafras auf. Bemerkenswert, dass das Fehlen der Sonne als Symbol für komplette Anarchie steht, wenn Kämpfer auf der Seite Biafras, die keine Uniform tragen, rauben, vergewaltigen und Männer jeden Alters von der Straße weg zum Kriegsdienst zwingen. Adichies Roman ist nicht nur ein Buch über einen Krieg, der sich durch die Bilder der damit verbundenen Hungersnot besonders ins Gedächtnis Europas eingegraben hat, sondern auch ein Familienroman. Besonders eindrucksvoll fand ich die Figur des Ugwu, der sich von den Protagonisten am erstaunlichsten entwickelt. Aber auch Richard ist eine bemerkenswerte Figur, stellvertretend für die weißen Expatriats, die damals als Mitarbeiter von Mineralölgesellschaften in Nigeria lebten. Auch durch Richards Probleme, sich in die Clan- und Familienstrukturen Nigerias hineinzuversetzen, verdeutlich Adichie, wie Nigeria in den 60ern des vorigen Jahrhunderts funktionierte.

zurück nach oben