Buchdoktor
Die Situation könnte nicht brisanter sein, in der Barons und Yin-Barons Psychogramm der Chinesen erscheint. In aller kulturellen Überheblichkeit sind die USA offensichtlich dabei einen Handelskrieg mit China anzuzetteln. Gerade die Annahme, andere Kulturen würden den USA (oder auch Deutschland) als wirtschaftlich und moralisch überlegenem System nacheifern wollen, um selbst zu werden wie der bewunderte große Bruder, entlarvt das Autoren-Paar als hochmütigen Irrglauben. Ihr Buch besteht aus einem Wissensteil, der interkulturelle Kompetenzen für den privaten oder geschäftlichen Umgang mit Chinesen vermittelt, und aus einer höchst aktuellen Analyse der Weltlage nach der Trump-Wahl. Ob China die Vorherrschaft in Asien anstrebt und wie der geopolitische Konflikt im Südchinesischen Meer einzuordnen ist, gehört zu den drängendsten Fragen der Weltpolitik. Während deutsche Medien über den Handelspartner China zurückhaltend und berichten und dabei häufig Klischees bedienen, hat sich das Reich der Mitte längst zum finanzstarken Handelspartner entwickelt. Die Bewertung chinesischer Investitionen aus deutscher Sicht wiederum zeigt häufig, dass China in deutschen Lehrplänen nur eine Randrolle spielt und bis in die Spitzen unserer Gesellschaft simpelste Kenntnisse über das Land fehlen. Das Bild der blauen Ameisen Maos scheint nur schwer auszurotten sein und die daraus folgenden Fehlschlüsse sind für all die Westler fatal, die in China arbeiten oder in interkulturellen Teams mit Asiaten. So simpel wie wirkungsvoll ist der Blick über den eigenen Tellerrand, den „Die Chinesen“ seinen Lesern liefert. Das Autoren-Duo berichtet anschaulich, mit welchem Blick auf seine Umwelt ein chinesisches Kleinkind aufwächst, welche Art von Intelligenz nötig ist, um eine Schrift mit tausenden von Schriftzeichen zu lernen und schließlich, welche Werte eine Gesellschaft vermittelt, die langfristig zu denken gelernt hat. Die Sprache definiert das Denken und die chinesische Sprache und Schrift fördern offenbar besonders das mathematische Denken. Zum Blick über den eigenen europäischen Tellerrand gehört unbedingt ein Perspektivwechsel in Chinas Geschichte, der vermittelt, warum das Land sich für den Mittelpunkt der Welt hält, warum Handelsbeziehungen nicht zwangsläufig zur Demokratisierung anderer Staaten führen oder auch, welche westlichen Gepflogenheiten ein Chinese für Chaos oder für die Dekadenz einer im Abstieg befindlichen Kultur werten würde. Der Wissensteil des Buches vermittelt Allgemeinwissen über die konfuzianisch geprägte Kultur Chinas und analysiert die Psyche des Landes aus seiner Geschichte heraus. Östliches und westliches Denken und Fühlen ließe sich in Tabellenform gegenüberstellen; das Wissen über die Unterschiede hält Amerikanern und Europäern wirkungsvoll den Spiegel entgegen. Das Autoren-Team zitiert Klassiker wie Kissingers „On China“, Fukuyama, klassische und zeitgenössische chinesische Romane und natürlich auch Einsichten, die eine chinesische Mutter ihrem Kind mit auf den Weg geben würde, das zum Studium ins Ausland aufbricht. Die reinen Fakten unterscheiden sich kaum vom interkulturellen Wissen, das Oskar Weggel bereits vor fast 40 Jahren lehrte und das unverändert gilt. Barons Fakten sind jedoch knackig formuliert und richten sich damit an breite Leserschichten. Interessant wäre höchstens die Frage, warum Deutschland als Handelspartner so lange braucht, um von vorherigen Generationen zu lernen … Interessant wird es im analytischen Teil, der sich mit der rasanten technischen Entwicklung Chinas befasst, mit dem Urteil der Bevölkerung über ihren Staat und mit der aktuellen politischen Situation auf dem Stand von 2017. Insgesamt ein Kompendium, das knackig formuliert ist, sich flott lesen lässt – und Allgemeinwissen vermittelt, das in deutsche Lehrpläne gehörte.