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Buchdoktor

Posted on 1.12.2020

„Wandel durch Handel“ ist eine der fatalsten Fehleinschätzungen westlicher Politiker. Die Vorstellung, materieller Wohlstand würde in der übrigen Welt durch die offensichtliche Überlegenheit westlicher Demokratien zur Demokratisierung führen, erwies sich als Illusion. Wirtschaftswachstum ist kein Antrieb demokratischer Prozesse. Eine Verbesserung des Konsumgüterangebots scheint die Mittelschichten Indiens und Chinas keineswegs zur Kritik zu animieren, sondern sie eher passiv und desinteressiert an Politik zurückzulassen. Wer als Gewinner der Verhältnisse selbst satt ist, zeigt kaum Interesse an Menschenrechten, Bildung und medizinischer Versorgung für alle. Man könnte die Fehleinschätzung auf kulturelle Überheblichkeit des Westens zurückführen, der sich und das eigene Modell für den Mittelpunkt der Welt hält. Der Mittelpunkt der Welt ist längst von China besetzt, das sich durch Wirtschaftskrisen und Konflikte westlicher Demokratien bestätigt sieht, das eigene System sei dem anderer Staaten überlegen. Der häufigste Satz in Hamilton/Ohlbergs hochaktuellem Schwarzbuch chinesischen Einflusses lautet „Sie verstehen es nicht“. Ausländer verstehen nicht, dass die Kommunistische Partei Chinas nie eine Demokratisierung plante. Sie verstehen nicht, dass die eigenen Konzepte von Freundschaft, Volk oder Ordnung nicht 1:1 übertragbar sind und man sich mit den Sitten anderer Nationen auseinandersetzen sollte, ehe man dort Geschäfte macht. Dass „Freundschaft“ eine politische Formel sein kann mit der Erwartung streng ritualisierten Verhaltens, ist westlichen Besuchern häufig fremd. Besonders Politiker fallen mit der Unbedarftheit auf, mit der sie sich von Verhandlungspartnern über den Tisch ziehen lassen und sich gegen ein wenig Schmeichelei oder eine Ehrendoktorwürde das nationale „Tafelsilber“ abschwatzen lassen. Eine häufige Kommunikationsfalle ist für Ausländer neben der falschen Interpretation des Begriffes Freundschaft die Gleichsetzung Chinas mit dem chinesischen Volk unter Ignorierung des Einflusses der Einheitspartei. Hamilton/Ohlberg befassen sich mit der Verflechtung wirtschaftlicher, politischer und kultureller Interessen, die so manchen Staat in eine Situation des No-Return gebracht hat, in der China bereits den zukünftigen Kurs bestimmt. Die aufgelisteten Verbindungen sind sorgfältig durch Quellenangaben belegt und stammen aus den USA, Australien, Kanada und Europa, auch aus Deutschland. Die Quellenangaben umfassen stolze 88 Seiten. Wenn konkret geschäftliche Interessen deutscher Politiker und Meinungsführer aufgelistet werden, ist das eindrucksvoller als Geschäfte chinesischer Politikerkinder. Neben chinesischen Investition in ausländische Versorgungsbetriebe, Häfen und Pressekonzerne sehen die Autoren eine lange Liste an Sorgenkindern: Einfluss von Sponsoren auf Lehre und Forschung, Verstrickung der Eliten, Selbstzensur und vorauseilender Gehorsam auf allen Ebenen, die „geopolitsche Neuordnung“ durch die Neue Seidenstraße, Cyberattacken auf persönliche Daten, das 5G-Netz – all das unterlegt mit mangelhaften Chinakenntnissen und fragwürdigen Beratern. Manche Urteile sind mir zu einseitig und klischeehaft in ihrer Kritik an der KPCh. Wer im Kontakt zu China aus Unkenntnis oder Selbstüberschätzung über den Tisch gezogen wird, ist selbst an der Situation nicht unbeteiligt. Politikern und ganzen Staaten ist durchaus zumutbar aus Blamagen ihrer Vorgänger zu lernen. Das Buch ist akribisch recherchiert, auch für deutsche Leser interessant und mit Ereignissen bis ins Jahr 2020 zurzeit hochaktuell.

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