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Buchdoktor

Posted on 1.12.2020

Es war ein simples Fischen nach Wählerstimmen, als der Bürgermeisterkandidat William B. Hartsfield 1948 der Bevölkerung von Atlanta schwarze Streifenpolizisten im Tausch gegen die Stimmen der Schwarzen bei seiner Wiederwahl versprach. Acht „Negro Cops“ werden daraufhin eingestellt in einem Land, das erst 1964 per Gesetz die Rassentrennung abschafft. In ihrem Revier Darktown gab es bisher keine Straßenbeleuchtung, keine Müllabfuhr – und natürlich keine Streifenpolizisten. Die neuen Cops sind die Putzkolonne, damit das Department sich bei Straftaten gegen Schwarze nicht mehr die Finger schmutzig machen muss. Bisher war es für die Polizei nach Gewalttaten an Schwarzen selten nötig, Beweise zu sammeln und den Täter zu überführen. Hauptsache, einen Schuldigen vorweisen können, der sich nicht zur Wehr setzen kann. Gewalt gegen Zeugen und Verdächtige durch weiße Polizisten war an der Tagesordnung. Lucius Boggs und seine Kollegen sind anfangs noch Amateure, und ihre weißen Kollegen wollen sie so schnell wie möglich wieder loswerden. Sie haben kein Dienstfahrzeug und kein Schießtraining; sie werden mit ihrer Dienststelle in irgendeinen Keller ausgelagert und dürfen vor allem außerhalb der Dienstzeit keine Uniform tragen. Die Uniform war ein wunder Punkt der Weißen im tiefen Süden der USA. Tommy Smith‘ Vater als hoch dekorierter Kriegsveteran wurde noch gelyncht, weil die Ehrung Schwarzer Soldaten in Uniform dem rassistischen Süden nicht zumutbar war. Lucius Boggs Vater hatte als Kind sogar noch Pogrome gegen Schwarze erlebt. Als eine junge schwarze Frau tot aufgefunden wird, die kurz zuvor noch im Auto eines Weißen gesehen wurde, entfaltet sich die ganze Absurdität einer nach Hautfarben gespaltenen Stadt. Auch wenn Schwarz und Weiß in streng getrennten Wohnvierteln leben, scheint die Rassentrennung nicht zu gelten, wenn es um krumme Geschäfte geht. Lucius Boggs muss feststellen, dass sein Bericht über den verdächtigen Autofahrer nachträglich geändert wurde. Er und seine Kollegen haben offenbar mitten in ein Wespennest aus korrupten Polizisten, den Bordellen der Stadt und der großen Politik getroffen. Nur weil Boggs Vater beste Beziehungen zur lokalen Bürgerrechtsbewegung unterhält und weil auch ein weißer Polizist unermüdlich ermittelt, kann der toten Lily Ellsworth Gerechtigkeit wiederfahren. „Darktown“ erscheint in Deutschland als Roman. Wegen des umfangreichen historischen Hintergrunds halte ich ihn eher für ein hochinteressantes Stück Stadt- und Polizeigeschichte, dem nach meinem Geschmack zum Kriminalroman die straff gespannte Spannungskurve fehlt. Dafür wartet Mullens Buch mit differenzierten Figuren auf, die über Potenzial für weitere Bände verfügen. Sie könnten den Blick dafür schärfen, welche Persönlichkeiten gesellschaftliche Veränderungen anstoßen könnten. Pointiert und in teils bitter-resigniertem Ton erzählt Thomas Mullen aus einer Zeit im amerikanischen Süden, zu der sich höchst interessante Quellen finden lassen. Sein Lucius Boggs ist geschickt gewählt, weil ihm als Sohn eines Priesters sicher andere Berufe offen gestanden hätten als ausgerechnet Streifenpolizist im Dauer-Spätdienst. Boggs muss im Polizeidienst mit gesenktem Kopf unterwegs sein, immer wachsam, um mit seinem Wissen nur keinem Weißen zu nahe zu treten.

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