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Buchdoktor

Posted on 1.12.2020

Wenn das Monster kommt, ist es pünktlich um 0.07Uhr da. Das Monster ist nicht nur ein Albtraum für Conor, es breitet sich bei jedem Zusammentreffen schwarz und bedrohlich über mehrere Buchseiten aus. Connors Zimmer wirkt dann, als wäre ein weit ausschreitender Baum hindurch gestapft und hätte den Boden mit Nadeln und Früchten vollgemüllt. Connor stellt sich dem unheimlichen Wesen furchtlos entgegen: "Ich habe schon Schlimmeres erlebt". Connors Mutter ist schwer krank, so dass er sich beim besten Willen nicht mehr allein um sie kümmern kann. Der Vater hat längst eine eigene Familie in den USA und die Großmutter möchte Connor überhaupt nicht in seiner Wohnung sehen. Zu allem Überfluss wird Connor von Mitschülern schikaniert. Die anderen wissen einfach nicht, wie sie sich verhalten sollen, wenn an einen Schüler keine Anforderungen mehr gestellt werden und Lehrer sich hinter ihrer Nachsicht mit Connor verstecken. Connors Monster erzählt ihm mehrere Geschichten, in denen es um Krankheit, Hoffnung und das Loslassen geht. Das Monster weiß, dass die versteckte Wahrheit die ist, vor der sich Conor am meisten fürchtet. Um seinen Albtraum loszuwerden, wird Conor ehrlich zu sich sein müssen. Bis jetzt wollte der Junge nicht wahrhaben, dass seine Mutter sterben könnte und er dann bei seiner Großmutter leben müsste. Als das Monster eines Tages nicht um Mitternacht, sondern zur Mittagszeit in der Schule erscheint, bricht Connor in einen riesigen, gewalttätigen Befreiungsschlag aus. Er will nicht länger unsichtbar sein. Patrick Ness hat bisher zwei Romane und eine in Deutschland noch wenig beachtete utopische Trilogie (New World) für Jugendliche geschrieben. "Sieben Minuten nach Mitternacht" war ein Projekt der 2007 an Krebs verstorbenen Autorin Siobhan Dowd. Ness hat die Idee seiner Kollegin ausgearbeitet. "Lauf, stifte Unruhe", ist seine Aufforderung an seine jungen Leser. Conors Geschichte wirkt durch den gewaltigen dunklen Baum auf Buchcover und Buchdeckel zunächst sehr düster. Man erwartet eine Gruselgeschichte und gruselt sich wirklich bei der Beschreibung der wiederkehrenden Albträume. Doch dann tritt ein starker junger Held auf, der zu Beginn noch entschlossen ist, keine Hilfe von Erwachsenen anzunehmen. In klarer, schnörkelloser Sprache setzt sich Patrick Ness mit dem Sterben, Wut, Trauer und der Angst vor dem Tod auseinander. Als seltener Glücksfall für die Jugendliteratur kann Ness' Verknüpfung von Albtraum und Realität, sowie sein Einblick in Conors Innenwelt Eltern und Kinder zu Gesprächen zusammenführen. Die ermutigenden Botschaften des Buches kommen jedem Leser dort entgegen, wo er persönlich gerade steht. Mich hat die Idee angesprochen, dass ein Wirkstoff sowohl heilen als auch töten kann, anderen Lesern wird die Vermittlung des Loslassens Trost bieten können. Das für Leser ab 12 Jahren empfohlene Buch hat mehr Sterne verdient, als hier zur Verfügung stehen. Jedem, den gerade Abschied und Trauer bewegen, empfehle ich es unbedingt.

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