Buchdoktor
In knappen Lebensweisheiten erzählt Ilija Trojanow von Flucht, Staatenlosigkeit und Fremdheit. Wer nicht aussieht wie ein Einheimischer, eine Bindestrich-Identität hat oder einen andersfarbigen Reisepass, trägt das Thema Fremdheit lebenslang mit sich. Selbst wer bereits in der dritten Generation im Land lebt, wird gefragt werden: woher kommst du, wo hast du so gut Deutsch gelernt? Trojanows Themen sind die Peinlichkeit auf beiden Seiten in diesen Gesprächen über Fremdheit, um erwartete Dankbarkeit, den abgeschnittenen Kontakt zur zurückgebliebenen Familie, wie auch das Verhältnis eines Geflüchteten zur Muttersprache, zum Heimatland und zur Frage einer möglichen Rückkehr. Es geht um Anpassung, um Autoritätsverlust von Eltern in einer neuen Umgebung, um Pubertät Jugendlicher ohne einen Gegenpart zum Aufbegehren. Ein Geflüchteter wirft alle Ketten ab von Familie, Religion, provinzieller Enge, verrückt die gewohnte Ordnung und könnte damit Neid erzeugen bei denen, die sich nicht bewegt haben. Bewegung und Veränderung verärgert unbewegliche Zeitgenossen – hier mag der Grund liegen, warum bereits sesshafte Migranten schlecht mit dem Eindruck umgehen können, neuere Geflüchtete hätten es leichter als sie selbst. „Die Vergangenheit ist wie ein unbenutztes Zimmer, in dem sich Staub ablagert“ – viele seiner bildhaften Vergleiche ließen sich als Lebensweisheit notieren und einrahmen. Trojanows eigene Staatenlosigkeit, mit der seine Familie ein halbes Leben lang „den Betrieb an den Grenzkontrollen aufhielt“, bleibt als Schicksal ein Sonderfall. Dennoch verblüfft, wie treffend nah seine Einsichten der deutschen Nachkriegsgeschichte mit 14 Millionen Geflüchteten und Vertriebenen und fast 4 Millionen DDR-Flüchtlingen kommen. Heimat ist, wo das Herz ist – nur wo ist das in einer mobilen globalisierten Welt?