moniszeitreise
Anne Boleyn dürfte wohl fast jedem ein Begriff sein, der sich ein bisschen mit der englischen Geschichte befasst hat. Henry VIII hat es in seinem Ringen um einen männlichen Nachfolger und der Anzahl und dem Schicksal seiner Ehefrauen zur traurigen Berühmtheit gebracht. Ich war sehr gespannt auf diesen Roman, denn Anne Boleyn hatte ich sehr negativ in Erinnerung. Mit ihrem Schreibstil konnte mich Alison Weir schnell in ihren Bann ziehen. Die Schauplätze mit dem niederländischen, französischen und englischen Hof waren Klasse in Szene gesetzt und man hat einen umfangreichen Einblick in den Zeitgeist bekommen. Ich habe den Roman auf englisch gelesen und kam diesmal schon besser mit dem Wortschatz zurecht, aber auch hier war es wieder so, dass ich in der Mitte des Buches einen kleinen Hänger hatte, weil sich vieles vom Verhalten der Personen her immer wieder wiederholt. Den Zeitrahmen fand ich gut gewählt. Die Geschichte wird von 1512 bis zu Anne Boleyns Tod 1536 erzählt. Dabei erfahren wir viel über ihre Erziehung und welche Ideen sie beeinflusst haben, ihre Gefühle und Gedanken, das hartnäckige Werben Henrys VIII und wie es schließlich zu ihrer Enthauptung kam. Der gesamte Roman ist aus ihrer Geschichte geschrieben, weswegen man wirklich sehr dran ist. Und ich muss sagen, sie hat mich sehr überrascht. Ich habe nach dem Lesen dieses Romanes ein viel differenzierteres Bild von ihr. Gerade am Anfang und im Angesichts ihres Todes konnte Anne Boleyn mich für sich einnehmen. Sie war intelligent, hatte fortschrittliche Ideen in Bezug auf Frauen und sie liebte das Leben, aber sie war auch schon immer von Ehrgeiz geprägt. Der Mittelteil hat ihre nicht so schönen Seiten zu Tage gefördert und gezeigt wie weit sie zu gehen bereit ist, um Königin zu werden und zu bleiben. In diesem Zeitraum habe ich sie echt gehasst und mich gefragt, was aus dem Mädchen und der Frau vom Anfang des Buches geworden ist. In ihrer Angst um den Verlust ihres Status hat sie Menschen, die ihr ihrer Meinung nach im Weg standen, wie Dreck behandelt und das teilweise mit einer Arroganz, die seinesgleichen sucht. Wenn man Henry VIII nur aus diesem Buch kennt, kommt er eher nicht so gut weg. Die Besessenheit, mit der er Anne Boleyn verfolgt hat, ist beängstigend. Gleichzeitig wirkte er aber auch ehrlich in seinen Gefühlen, so dass man wieder Sympathien für ihn hatte. Dann kommt aber seine Beeinflussbarkeit durch andere hinzu. Dadurch hat er anderen Menschen so viel Schaden zugefügt und in diesen Momenten habe ich mich oftmals gefragt, wie scheiße ein Mensch sein kann. Henry VIII hat für mich gefühlt die Midlife Crises erfunden, in der man seine Ehefrau für eine jüngere verlässt und teilweise vollkommen am Rad dreht. Wie bereits eingangs erwähnt, ist dies der zweite Teil einer Reihe, man muss meiner Meinung nach aber nicht alle Romane lesen. Die Geschichte der jeweiligen Königin an Henrys Seite ist in sich abgeschlossen. Das Bild, das man von Henry VIII bekommt ist mit Sicherheit nicht so detailreich, wenn man den ein oder anderen Roman der Reihe auslässt und ich glaube es lohnt sich, die Reihe komplett zu lesen, denn die Ehefrauen Henrys VIII waren bisher sehr unterschiedlich. Am Ende des Buches gibt es ein ausführliches Nachwort der Autorin, in dem geschildert wird, wie sie zu welcher Erkenntnis gekommen ist und warum sie manche Gegebenheiten so wie im Buch dargestellt hat. Diese Erläuterungen waren für mich sehr schlüssig und ich könnte mir gut vorstellen, dass es so ähnlich wie im Buch abgelaufen ist. Zusätzlich ist das Buch noch mit einer Zeittafel, einem Personenregister und Reading Group Questions ausgestattet. Gerade das Personenverzeichnis zeigt, dass in Alison Weirs Roman, fast ausschließlich historisch verbürgte Personen handeln. Dies verlangt mir immer den allerhöchsten Respekt ab und spricht für mich nochmals für eine besonders gute Recherche. Fazit: Die Geschichte aus der Sicht Anne Boleyns zu lesen, hat sich für mich sehr gelohnt. Man bekommt ein detailliertes Bild dieser faszinierenden Frau und ich musste mein schlechtes Bild von ihr revidieren. Empfehlenswert für alle, die sehr gut recherchierte Romane lieben und die Interesse daran haben, die Geschichte Henrys VIII aus der Sicht seiner Ehefrauen kennenzulernen.