patricianossol
Buchautorin Lydia Mischkulnig erzählt in ihrem neuen Roman die Geschichte der Richterin Gabrielle, die tagtäglich darüber entscheidet, ob Asylbewerberinnen im Land bleiben dürfen oder ob sie es wieder verlassen müssen. Die Thematik interessiert mich. Ich möchte erfahren, wie Gabrielle ihre Entscheidungen trifft und welche Beweggründe sie veranlassen, Asyl zu gewähren. Darf sich eine Richterin von persönlichen Sympathien leiten lassen? Wie sieht der Arbeitsalltag einer Asylrichterin aus? Das Buchcover gefällt mir, der Klappentext klingt vielversprechend. Ich muss gestehen, dass ich hinter diesem Roman eine andere Geschichte erwartet habe. Die sprunghafte Erzählweise erschwert es mir, ins Geschehen zu finden. Durch meine Schöffentätigkeit habe ich viele RichterInnen persönlich kennengelernt. Für mich sind es charismatische Menschen mit Vorbildfunktion, die verantwortungsbewusst und besonnen agieren. Gabrielle hingegen wirkt auf mich konfus und unsicher. Ihren verworrenen Gedankengänge kann ich nur schwer folgen. Durch die vielen „Nebenkriegsschauplätze“ im Privatleben fällt es Gabrielle schwer, sich auf den Berufsalltag zu konzentrieren. Lydia Mischkulnig berichtet ausschweifend über die Drogensucht des Bruders, der in kleinkriminelle Machenschaften verstrickt ist, über eine mögliche Erblindung der Richterin, über Gabrielles Eheproblemen usw. Das wirkt zunehmend ermüdend und langatmig. Leider gerät somit das eigentliche Thema des Romans ins Hintertreffen. Wenn die Autorin auf die Flüchtlingsproblematik und Afghanistan zu sprechen kommt, verfolge ich gespannt das Geschehen. Diese Romanteile finde ich klasse. Sie regen zum Nachdenken an. Davon möchte ich mehr lesen, statt der ganzen Litanei familiärer Probleme. Unterm Strich hat mich die Geschichte nicht vom Hocker gerissen. Der Schreibstil ist gewöhnungsbedürftig. Obwohl Gabrielle ihre Gefühlswelt offenbart, finde ich keinen Draht zu ihr. Ihre Charakterdarstellung wirkt auf mich nicht realitätsnah. Vermutlich war meine Erwartungshaltung an dieses als „anspruchsvolle Literatur“ und „feinsinniger Roman“ beworbene Buch zu hoch.