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Ihr lest gern unvorhersehbare, spannend inszenierte Geschichten mit interessanten Hintergründen und Sogwirkung? Dann dürftet Ihr bei Buchautorin Ellen Sandberg fündig werden, deren neustes Werk „Die Schweigende“ am 20.10.2020 beim Penguin Verlag erschienen ist. Der Handlung wird aus zwei Zeitperspektiven heraus erzählt. Die eine blickt in die Gegenwart, die andere geht zurück ins Jahr 1956. Im Mittelpunkt des Geschehens steht Karin, die im Hier und Jetzt ihren geliebten Mann verloren hat und seither antriebslos in den Tag hinein lebt. In ihrem Garten verdorren die Rosen, die das Ehepaar einst zur Geburt ihrer Töchter Angelika, Imke und Anne gepflanzt haben. Die Mädchen sind inzwischen erwachsen, gehen ihre eigenen Wege. Während sie ihren Vater abgöttisch geliebt haben, gestaltete sich die Beziehung zur Mutter immer schwierig, denn Karin hat nie viel über ihre Kindheit und ihre Familie erzählt. Sie konnte nur schwer Gefühle zeigen und hat sich damit bei ihren Kindern ins Abseits manövriert. Als Imke ihrem Vater am Sterbebett verspricht, nach Peter zu suchen, holen Karin die Schatten der Vergangenheit ein, die sie all die Jahre erfolgreich verdrängt hat. 1956 ist Karin ein lebenslustiger Teenager, der gern Jeans trägt, Elvis Presley hört und davon träumt, Ärztin zu werden. Sie genießt das Leben mit vollen Zügen. Doch eines Tages wird ihr der jugendliche Leichtsinn zum Verhängnis mit fatalen Folgen für sie und ihre Familie. Von all den schlimmen Dingen ahnen Karins Töchter nichts. Erst als sich Imke auf die Suche nach Peter begibt, bröckelt Karins eiserner Vorhang langsam. Auf der Umschlagseite stellt Ellen Sandberg die Frauen der Familie Remy zunächst vor. Sie bleibt ihrem Stil der vorangegangenen Romane treu und lässt die Akteure kapitelweise zu Wort kommen und ihre Sicht der Dinge schildern. Am Ende der Kapitel baut die Autorin kleine Cliffhanger ein, die Neugier erzeugen und den Leser an die Geschichte fesseln. Stück für Stück lerne ich die Figuren mit ihren Eigenheiten kennen. Sie haben Ecken und Kanten und wirken daher auf mich realitätsnah. Die jahrelange emotionale Kälte der Mutter hat bei den Töchtern Spuren hinterlassen. Manchmal könnte ich diese jungen egoistischen Frauen beim Lesen schütteln. Einziger Lichtblick ist Imke, die sich selbstlos um ihre Mutter kümmert. Meiner Meinung nach kommen die Frauen in ihren Charakterdarstellungen deutlich schlechter weg, als ihre Männer. Die sind sympathischer und verständnisvoller inszeniert. Es ist bewundernswert, wie ruhig und besonnen sie auf die Kratzbürstigkeiten ihrer Frauen reagieren. Ich fliege durchs Geschehen. Mit jeder Seite komme ich Karins Schatten der Vergangenheit näher. Was ich hier lese ist ungeheuerlich, es berührt und schockiert mich. Ellen Sandberg greift ein brisantes Thema der 50er Jahre auf und bindet es gekonnt in ihre fiktive Story ein. Das Gelesene regt mich zum Nachdenken an und animiert mich zu einer vertiefenden Internetrecherche. Die Schauplätze sind detailliert beschrieben, sodass ich mir die örtlichen Gegebenheiten gut vorstellen kann. Insgesamt ist dieser Roman eine Leseerlebnis der Spitzenklasse - spannungsvoll, dramatisch und mitreißend! Leseempfehlung!