Cindy
Schon mit "Normale Menschen" konnte mich Sally Rooney absolut begeistern. Natürlich war ich nach Mariannes und Connells Geschichte neugierig auf ihren Debütroman. Mit "Gespräche mit Freunden" zeichnet Rooney ein brutal ehrliches Bild verschiedener Gefühlslagen, in denen man sich als Leser wiederfindet. Das Buch wird aus der Sicht von Frances erzählt. Sie ist einundzwanzig und tritt mit ihrer Freundin Bobbi bei Spoken Word Performances in Dublin auf. Sie lernen auf einer Veranstaltung das Ehepaar Nick und Melissa kennen. Ihre Leben verflechten sich miteinander. Frances und Bobbi waren einmal ein Paar, sind aber nur noch Freundinnen. Ihre Freundschaft ist kompliziert. Sie tun sich nicht immer gut, doch brauchen einander. Da beide nicht immer offen und ehrlich zueinander sind, haben sie falsche Bilder vom jeweils anderen, die in der Geschichte immer wieder neu gemalt werden. Frances beginnt eine Affäre mit Nick, während Bobbi sich zu Melissa hingezogen fühlt. Die Beziehungen zwischen den Charakteren sind sehr feinfühlig dargestellt. Rooney scheut sich nicht davor, die dunkelsten Gedanken und Begierden ihrer Protagonistrn zu erkunden und damit auch unsere Gesellschaft zu spiegeln. Frances wirkt als Erzählerin oft unnahbar, obwohl wir alles durch ihre Augen erleben und ihre Gefühle kennen. Ich konnte mich bis zum Ende nicht entscheiden, ob sie mir sympathisch war oder nicht. Die Charaktere in Rooneys Geschichte sind vielschichtig und je mehr man liest, desto mehr Schichten werden sichtbar. Es gibt kein schwarz und weiß, das wäre zu einfach. Rooney mag es kompliziert, lässt den Leser zwischen den Zeilen lesen und das Ungesagte für sich sprechen. Da ich "Normale Menschen" vorher gelesen habe, sind mir einige Parallelen aufgefallen. Marianne und Frances ähneln sich in ihrem Denken sehr, doch ihr Umfeld unterscheidet sich grundlegend voneinander. Frances ist eine Künstlerin, auch wenn sie das selbst nicht sieht. Rooney hat verschiedene Welten aufeinanderprallen lassen und interessante Diskusionnen verfasst. Sie greift sowohl politische als auch soziale Themen auf und stellt sie wertfrei dar. Die Dinge sind so, wie sie sind. Da Frances manchmal selbst nicht weiß, was sie denken soll, wird man automatisch selbst zum Denken angeregt. Ich mag Rooney präzisen und klaren Schreibstil sehr gern. Sie schafft es wie keine Andere, Gefühle und Zustände zu beschreiben, Charaktere zu erschaffen, bei denen man sich nie ganz sicher ist, wie sie sich verhalten werden und Geschichten zu erzählen, die aus dem Leben gegriffen scheinen, die aber voller Poesie sind. Mir hat "Gespräche mit Freunden" sehr gut gefallen. Es ist eines dieser Bücher, die einen aufwühlen und ein wenig unbefriedigt zurücklassen, aber diese gewisse Sogwirkung beim Lesen entfalten, sodass man einfach nicht aufhören kann, Seite um Seite zu verschlingen. Definitiv eine klare Leseempfehlung!