Babscha
S. H., wie sie hier heißt, zieht im August 1978 mit 23 Jahren aus ihrem verschlafenen Heimatdorf in Minnesota ins aufregende New York in ein düsteres Appartement in Morningside Heights im Norden von Manhattan. Große Gefühle und Erwartungen begleiten sie, denn sie hat ein Stipendium an der renommierten Columbia University, wo sie demnächst ein Studium für vergleichende Literaturwissenschaften beginnen wird. Ihre Begleiter sind die Lust auf Abenteuer und alles Neue, der unbedingte Wille, sich alleine durchzubeißen und schon bald ihren ersten Roman, eine Detektivstory mit einem komplexen jungen Helden zu schreiben. So beginnt das Buch der amerikanischen Schriftstellerin. Sie hat es konzipiert als kritisch-melancholischen Rückblick auf ihr damaliges Leben aus ihrer heutigen, lebenserfahrenen Perspektive einer Frau Anfang Sechzig. Hierbei nimmt sie ganz bewusst eine distanzierte, beobachtend-wertende, wenn auch verständnisvolle Haltung zu ihrem jung-naiven Selbst ein. Neben ihren teils lebhaften, teils verschwommenen Erinnerungen zieht sie dabei immer wieder die Einträge eines durch sie ab Herbst 1978 selbst geführten und später in den Unterlagen ihrer pflegebedürftigen Mutter wieder gefundenen Tagebuches zu Rate. Hustvedt erzählt von ihren frühen prägenden Erlebnissen als junge Frau in der Stadt, in der sie heute noch lebt, von ihrer psychopathischen Zimmernachbarin, deren umnebelte Gefühlsausbrüche sie jede Nacht um den Schlaf bringen aber dennoch faszinieren, von ihren Männergeschichten, von exzessiven Parties, von ihrem Hunger aufgrund Geldknappheit, vom Schreiben ihrer ersten Geschichte um ihren jungen Detektiv, von ihrem Versuch der Selbstfindung, von Enttäuschungen und Glücksmomenten und garniert alles mit willkürlichen Vor- bzw. Rückblenden in ihr heutiges Leben wie auch die Prägungen ihrer Kindheit in einer Landarztfamilie in Minnesota. Die Sprache des Buches ist geschliffen und erwartungsgemäß recht elaboriert trotz immer mal wieder bewusst gestreuter Einsprengsel aus der Umgangs- und Vulgärsprache, was angesichts der unendlich zelebrierten Attitüde und intellektuellen Abgehobenheit der Autorin zwar etwas befremdlich wirkt, aber situativ dennoch passt und offensichtlich dem Ganzen etwas Bodenhaftung verleihen soll. Nur dass Hustvedt beiläufig aber permanent und fast schon manisch ihr lebenslang erworbenes umfangreiches Wissen aus dem Dunstkreis der internationalen Literatur zitiert, auf ihr eigenes Leben reflektiert und damit meint, ihre Bildung und Belesenheit immer wieder unter Beweis stellen zu müssen, ist irgendwie ermüdend und überflüssig, aber offensichtlich für sie absolut selbstverständlich und notwendig. Das kann dem Leser/der Leserin gefallen, muss aber nicht. Mir war´s jedenfalls deutlich zu viel. Der rein biografisch orientierte Teil des Buches, in dem es einfach nur um ihre Person, ihre Gedanken, Empfindungen und Ängste, ihr (durchaus interessantes) Leben an sich geht, ist allerdings gut geschrieben und vermittelt einen erhellenden Eindruck ihrer komplizierten Persönlichkeit. Insgesamt sehe ich für das Buch drei faire Sterne, allerdings ohne das Empfinden, unbedingt noch mehr von dieser Schriftstellerin lesen zu müssen. Kleine Anmerkung am Rande: Erheitert bzw. leicht überrascht las ich die Passagen des Buches, in denen die Autorin sich in direkter Ansprache und gezielt hilfesuchend an die „Leserin“ als „Reisegefährtin“ ihres Buches wendet. Bitte!? Ist das jetzt nur Ungeschicklichkeit (glaub ich kaum), leichte Verblendung oder womöglich schon indirektes bashing? Egal, zumindest definiert sie damit ganz klar die Zielgruppe ihres Werkes. Eigentlich gut so, muss ja auch nicht sein, ihre Bücher zu lesen. Starke, wirklich lesenswerte Autorinnen ohne solch eigenartig-unzeitgemäße Vorbehalte gibt´s ja zum Glück genug.