mrsrabe
England im Jahre 997: Nach einem Überfall der Wikinger auf die Stadt Combe steht der junge Edgar mit seiner Familie vor dem Nichts. Der Vater, ein begnadeter Handwerker und Bootsbauer tot, das Haus, die Werkstatt, Material und Vorräte zerstört. Auch Edgars Geliebte, mit der er gerade ein eigenes Leben aufbauen wollte, hat den Überfall nicht überlebt. Im abgeschieden Weiler Drengs Ferry erhält die Familie einen heruntergekommenen Hof zur Pacht. Während die einfachen Menschen mit harter Arbeit gegen Not und Hunger ankämpfen, leben die weltlichen und geistlichen Würdenträger sehr gut von ihren Untergegebenen. Die Brüder Wynstan, Wilwulf und Wigelm bilden ein Triumvirat an Macht und Dekadenz. Es entbrennt ein heftiger Kampf um Herrschaft und Reichtum. Dem skrupellosen Vorgehen setzen sich Ragna, die normannische Adelige und Ehefrau Wilwulfs, der idealistische Mönch Aldred und der immer stets aufs Gute bedachte Edgar mit aller Kraft entgegen. Ken Follett konnte schon vor einiger Zeit mit seiner historischen Trilogie beginnend mit „Die Säulen der Erde“ große Erfolge feiern. „Kingsbridge - der Morgen einer neuen Zeit“ ist nun eine Art Prequel zu diesem Epos. Auch wenn Ken Follett uns in die längst vergangenen Zeiten des dunklen Mittelalters führt und dabei weder blutige Details noch sexuelle Ausschweifungen ausspart, scheint es mir doch, dass er so manchen gegenwärtigen Seitenhieb nicht verkneifen kann. „England ist eine reiche alte Dame mit einer Kiste voller Geld und niemandem, der es bewacht. Natürlich weckt das Begehrlichkeiten.“ Follett zeigt auch hier sein ganzes Können (und das seiner Schreibwerkstatt). Vorwerfen darf man dem britischen Schriftsteller, dass er seinen Figuren keine Grautöne gönnt. Edgar ist fast zu gut, um wahr zu sein, und Bischof Wynstan in seiner Perfidität ein Bösewicht, wie er im Buche steht. Mit Ragna, der mittelalterlichen Feministin, und dem eindeutig homosexuellen Mönch Aldred spielt er auch die Diversitykarte aus. Bin ich ihm deswegen böse? Nein, denn: Kingsbridge ist ein opulenter, süffiger historischer Roman. Ein „herzhafter Schinken“, den man gerne verschlingt, handfest, langanhaltend. Follett erzählt bildgewaltig vom ewigen Streben nach Macht und Glück, stellt Geschick und Schicksal einander gegenüber und geht dabei ans Eingemachte. Schon wieder eine kulinarische Metapher? Ja, denn die Lektüre von Kingsbridge macht einfach satt an langen Herbstabenden.