Schattenwege
Obwohl die "Witch Hunter"-Welt an die eher düstere und dunkle Zeitepoche der Hexenverfolgung angelehnt ist, hat man niemals das Gefühl, sich in einer solchen Atmosphäre zu bewegen. Die Erzählweise ist zwar sehr dicht, jedoch nicht bedrückend, wie man sich die damalige Zeit vorstellt. Virgina Boecker schafft es, mit ihrer Geschichte Neugier auf diese Zeit zu wecken, ohne dabei richtiges Unbehagen auszulösen. Dabei hilft sicherlich auch, dass es kein klassisches Arm-und-Reich-Gefüge gibt oder zumindest keines dargestellt wird. Zwar steht natürlich der König an oberster Stelle, aber er ist nicht der einzige wohlhabende Mensch, dem der Leser begegnet. Und von abgeranzten Bettlern, wie man sie sich ja gerne im Kontext vorstellt, wird fast gar nicht erzählt, höchstens mal am Rande. Stattdessen zeichnet Virginia Boecker ihre Charaktere sehr klar und authentisch, die Ich-Erzählperspektive der Protagonisten unterstützt das Gefühl der Nähe zu den Charakteren noch zusätzlich. Als Leser hat man oft den Eindruck, als würde man direkt neben Elizabeth sitzen oder stehen, wodurch man noch leichter Zugang zu ihr findet. Es ist außerdem sehr spannend zu sehen, dass man ebenso unsicher ist und nicht genau weiß, wer eigentlich gut und wer böse ist. Hier wird teilweise mit so unklaren Grenzen gearbeitet, dass es schwer fällt, an dem Schwarz-Weiß-Denken festzuhalten. Zwischendurch wird immer wieder die Pest erwähnt, die in diesem Roman von Hexen und Hexenmeistern ausgelöst wurde, was ebenfalls einen zeitlichen Richtwert bietet. Unabhängig von diesen Hinweisen und entsprechenden Elementen könnte "Witch Hunter" aber auch eine ganz normale Abenteuergeschichte sein. Denn die Welt ist so aufgebaut, dass man nicht das Gefühl hat, sich wirklich im phantastischen Genre zu bewegen. Es gibt, bis auf die Magie, keine weiteren Fantasy-Elemente – und doch macht genau das den Reiz eines Besuchs in Anglia aus. Dort ist Hexerei in all ihren Formen verboten, selbst Kräuterkunde und Alchemie sind gefährlich für Leib und Seele und werden mit dem Tod durch Erhängen oder auf dem Scheiterhaufen geahndet. Leider ist im Buch keine Karte enthalten, die dem Leser eine Darstellung davon gibt, wie Anglia aufgebaut ist und wie weit die Wege in die umliegenden Regionen sind. Wahrscheinlich auch deshalb verliert man beim Lesen öfter mal das Zeitgefühl und taucht völlig in diese erschaffene, aber irgendwie auch reale Welt ein. Insgesamt kann "Witch Hunter" dem Leser durchaus vergnügliche und kurzweilige Lesestunden bieten, ohne dabei zu sehr auf historische Hintergründe zu pochen. Es ist ein angenehmes Zusammenspiel aus echten Fakten und erfundenen Elementen. Die Charakterzeichnung macht es leicht, Zugang zu den Protagonisten zu finden und mit ihnen zu fühlen. Auch Erwachsene können in der von Virginia Boecker erdachten Welt abtauchen und sich gut unterhalten fühlen. Die Zeichen auf eine spannende und lesenswerte Fortsetzung stehen allesamt auf Grün und schon nach dem Beenden der 400 Seiten ist man gespannt auf Band zwei der Reihe. Fazit: Jugend-Fantasy at its best – Virginia Boecker schafft nicht nur spannende Unterhaltung in einer dichten Atmosphäre, sondern lässt ihre authentisch gezeichneten Charaktere in einer überaus interessanten Zeitepoche Abenteuer erleben. Historische Details werden dabei auf eine unaufdringliche, aber trotzdem nachhaltige Weise in die Geschichte eingeflochten. "Witch Hunter" ist ein sehr gutes Beispiel, dass Historie und Fantasy auch Hand in Hand gehen können, ohne sich gegenseitig auszustechen. Vielleicht kein hundertprozentiger Pageturner, doch auf jeden Fall ein Garant für unterhaltsame Lesestunden! Wertung: Vier von fünf Sternen Handlung: 4 / 5 Charaktere: 4.5 / 5 Lesespaß: 4 / 5 Preis/Leistung: 4 / 5