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Tabea

Posted on 18.11.2020

Das Buch *Die Spur des Schweigens von Amelie Fried erschien am 31. August 2020 im *Heyne<-Verlag. Ich finde das Cover wirklich gelungen, ich mag die Farben und den kubistischen Zeichenstil sehr, obwohl ich mir für die Geschichte auch ein etwas düsteres Cover hätte vorstellen können. Die Geschichte wird uns überwiegend aus der Sicht von Julia erzählt, wobei es auch immer wieder Einschübe von anderen Figuren der Geschichte gibt. Julia selbst war für mich eine sehr schwer greifbare Protagonistin, gerade zu Anfang fand ich sie und ihre Ansichten, insbesondere die in Bezug auf die #Me-Too-Debatte sehr fragwürdig, allerdings muss ich auch einräumen, dass durch ihre Recherche eine ihr völlig neue Sichtweise erlernen darf und diesen Wandel mitzuerleben war dann wieder sehr interessant und vor allem wichtig, denn ich denke, dass es durchaus realistisch ist, dass es vorrangig die eigenen Erfahrungen sind, die einen Sinneswandel bewirken können. Allerdings war mir Julia am Anfang deswegen wirklich alles andere als sympathisch und es hat lange gedauert, bis ich mich richtig in sie und die Geschichte hineinversetzen konnte. Handlungstechnisch stehen der Machtmissbrauch am Johannes-Löwe-Institut und Julias eigene Vergangenheit und Gegenwart im Fokus der Geschichte. Die Geschehnisse rund um das Forschungsinstitut fand ich wahnsinnig spannend und hochaktuell, ich bin davon überzeugt, dass vieles was in der Geschichte beschrieben wurde der Realität entspricht und dieses Buch macht eines sehr deutlich, nämlich wie schwierig es für die betroffenen Personen ist, sich zur Wehr zu setzen. Obwohl es zwar etwas gedauert hat, bis die Geschichte an Fahrt aufgenommen hat, fand ich sie trotzdem umso authentischer, denn dass die Betroffenen mit denen Julia spricht sich ihr nicht sofort geöffnet haben, sondern ihre Angst sie so gelähmt hat, fand ich sehr realistisch dargestellt, vielleicht an der einen oder anderen Stelle etwas idealistisch, aber im Großen und Ganzen fand ich diesen Aspekt der Geschichte sehr gut nachvollziehbar und glaubhaft. Den Teil rund um Julias Familiengeschichte hingegen fand ich leider etwas überdramatisiert, zumal mir die Geschichte auch gut gefallen hätte, wenn man sich ausschließlich mit den Vorfällen am Johannes-Löwe-Institut beschäftigt hätte und diese noch ausführlicher behandelt hätte. Ja, das Verschwinden von Julias Bruder, Robert, ist zwar eine spannende Idee, aber wirkte in dem Gesamtkonstrukt leider etwas zu gewollt. Es prallten einfach zu viele Handlungsstränge aufeinander, die zwar alle miteinander verknüpft waren, aber genau deswegen auch nicht unbedingt realistisch waren. Der Schreibstil war insgesamt recht flüssig, hatte allerdings auch seine Längen. Auch die gewählte Erzählperspektive fand ich etwas irritierend, da ein Ich-Erzähler Julias Gefühle und Gedanken vielleicht etwas nachvollziehbarer hätte vermitteln können. Außerdem gab es mir leider zu viele Wortwiederholungen, die meinen Lesefluss beeinträchtigt haben. Trotz einiger Schwächen konnte mich der Roman insgesamt überzeugen, was vor allem an dem behandelten Thema liegt. Ich finde es wichtig, dass Romane auch aktuelle Themen aufgreifen und genau das schafft "Die Spur des Schweigens" auf gekonnte Art und Weise. Und vielleicht kann dieser Roman sogar helfen, selbst eine sensiblere Sichtweise in Bezug auf Machtmissbrauch, sexuelle Übergriffe und Diskriminierung zu erlangen. Kategorie: Leseempfehlung

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