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Großes Theater, aber nicht für jede/n Als ich das neugierig das Reziex anforderte, kannte ich Susan Sontag nur dem Namen nach und alles was ich von ihr wusste war, dass sie mit Annie Leibovitz, deren Schaffen ich großartig finde, zusammen war. Ich wollte die Person hinter dem Namen kennenlernen und ihre Auswirkungen, ihr Schaffen. Das alles bietet die mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnete Biographie von Benjamin Moser, der Sontags schillerndes Leben in all seinen Facetten wunderbar beschreibt. Nach den ersten 70 Seiten, war ich mir nicht mehr so sicher, ob ich mehr von Susan Sontag erfahren möchte. Sie war keine Frau, die sympathisch rüberkommt. Sie war tief in sich noch immer ein verlassenes Kind, das um die Aufmerksamkeit und Anerkennung seiner Mutter buhlt. Ein junges Mädchen, dass sich Familie sucht, indem es mit 17 einen sehr viel älteren Professor heiratet, dieser Ehe aber auch entkommt. Sie flüchtet sich von Kindheit an ihrem Anderssein bewusst in die Literatur. Kein schlechter Weg, um einer unschönen Kindheit zu entkommen. Doch für Susan Sontag funktionierte er nur bedingt. Was mir das Lesen sehr erschwerte. Good Vibes darf man in dieser Biographie nicht erwarten. Sie fordert und lässt nicht los. Biographien werden aus gelesenNeugier. Diese kann Sensationsgeilheit, den Willen in die Gedanken oder Gefühle des Objekts einzutauchen mit dem Ziel, mehr Verständnis zu entwickeln, die Person kennenzulernen oder schlicht aus Interesse am Leben des oder der Portraitierten, weil es sich um einen außergewöhnlichen Menschen handelt. Großartige Biographien, die ich bisher gelesen habe, waren unter diesen Aspekten jene von Richard Dawkins, Terry Pratchett, Simone de Beauvoir, Keith Richards mit“ Life“, die Stones Bio von Rich Cohen, Neil Gaimans „Beobachtungen aus der letzten Reihe“, John Cleeses „Wo war ich nochmal“, „Gilliamnesque“ von Terry Gilliam und „Blattgeflüster“ von Hope Jahren. Diese zufällige Auswahl meiner Biographie Highlights könnte bereits verdeutlichen, weshalb ich mit „Sontag“, das wirklich exquisit geschrieben ist, und Benjamin Mosers distanzwahrenden, aber tiefen Einblicken in Susan Sontags Gedanken und Gefühle und ihrem widersprüchlichen Leben so meine Probleme hatte. Quasi meine unberechtigte Erwartungshaltung an die Person Susan Sontag, und wie sie sich (teilweise) nicht erfüllte. Herbert Marcuse sagte über Sontag: „Sie kann aus einer Kartoffelschale eine Theorie machen“ und bezog sich damit auf ihre Vorliebe, die nie erlosch, das Abstrakte dem Konkreten vorzuziehen. Ein wichtiger Ansatz für eine Intellektuelle, aber ein mieser Ansatz, um ein glückliches Leben zu führen. Paul Watzlawicks „Anleitung zum Unglücklichsein“ kam mir bei „Sontag“ immer wieder in den Sinn. Ich mag es gerne konkret. Pragmatisch, praktisch. Grübelei und Nabelschau und seien sie noch so künstlerisch sind nicht meines. Susan Sontags ganzes Leben, ihr Werk ist der Kunst des Denkens gewidmet, des tief philosophischen Denkens angetrieben von schwarzer Verzweiflung, Depression, geistigem und körperlichem Leid und dem Versuch, sie selbst zu sein und zu bleiben und sich dabei fortwährend neu einzuordnen. Das ist so widersprüchlich wie Sontag selbst. Als Präsidentin des PEN Clubs aktivierte sie die Schriftstellerriege, um Salman Rushdie zu unterstützen, gegen den Khomeini, wegen seiner „Satanischen Verse“ die Fatwa ausgerufen hatte (ein Aufruf zum Mord, jederzeit von jedem „Gläubigen“ auszuführen) und bot ihm Solidarität. Eine kämpferische, mutige Selbstverständlichkeit. Sie nutzte ihre Bekanntheit wohl. In Sarajewo Theater zu inszenieren, Samuel Becketts „Warten auf Godot“, um die Menschen dort zu ermutigen, das war großes politisches Theater. Keines ihrer Werke habe ich gelesen und werde es wohl auch nicht mehr. Nichts was in „Sontag“ erwähnt wurde, klang irgendwie verlockend. Was bleibt ist Mitleid mit einem Menschen, der es nie gänzlich geschafft hat, sich von einer kalten, schlimmen Kindheit zu befreien, was angesichts ihrer analytischen Denkweise verwundert. Doch der Autor hat so viele Menschen interviewt und ihre Werke ausgewertet, dass wenig Zweifel an Sontags eher unglücklichem Existieren in der Welt bestehen bleibt, auch wenn man ihr als LeserIn anderes wünscht. Daher und auch intellektuell, war diese Biographie für mich eine Qual. Der Mensch dahinter, zusammengesetzt aus Unmengen an Material, Aussagen von PartnerInnen, Bekannten, Ideen, Zitaten zeigt eine schillernde Intellektualität, der ich nicht zu folgen vermochte. Susan Sontag, die Moser wirklich nicht verklärt hat, blieb mir fremd. Unangenehm fremd, trotz aller Versuche, die Person mittels dieser Biographie zu erfassen. Ich musste mich zum Lesen zwingen, und habe nichts mitgenommen.