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juttaortlepp

Posted on 18.11.2020

Dieses Buch gehört zweifellos zu den besten des Jahres 2020. Die Ärztin und Autorin Astrid Seeberger erzählt hier - stark autobiographisch gefärbt - die Geschichte der Suche nach ihrem Onkel Bruno, der – so wurde bisher vermutet – in der Schlacht von Stalingrad fiel, doch nun gibt es Hinweise auf ein Leben nach dem Krieg. Der Roman zerfällt in zwei Teile: Zunächst wird die Geschichte des Deutschrussen Dimitri erzählt. Als Junge in Moskau lebend wird er 1941 in ein Kinderarbeitslager nach Sibirien verschleppt, seine Mutter ist Deutsche, damit gilt er von vornherein als Schädling, Spion und Gegner Russlands. So wird er nach Kriegsende nicht entlassen, sondern zu Zwangsarbeit verurteilt und in ein Straflager für Erwachsene in Kasachstan verbracht. Dort trifft er den Rumänen Dinu, eine Liebesbeziehung entwickelt sich. Astrid Seeberger erzählt diesen Part sehr eindringlich, dabei benutzt sie keine drastischen Worte, keine horriblen Attribute – es sind schlichte, fast nüchtern-journalistisch-beschreibende Sätze, hier ist nichts zu viel, nichts ausgeschmückt und dadurch entsteht ein ungeheurer Sog in die Geschichte, denn es sind gerade diese lapidaren Sätze, die in ihrer Gesamtheit so berühren. Im zweiten Teil des Romans, in dem es um Dinus Geschichte mit dem vermissten Bruno geht, findet sich eine andere, weichere, liebevollere Sprache. Dinu trifft Bruno noch im Straflager, als beide endlich entlassen werden, gehen sie in Dinus Heimatstadt Bukarest. Wird es nach Jahren und Jahren der Zwangsarbeit, der Entbehrung, der Eiseskälte nun Freiheit, Glück, Wärme, ein Leben mit Büchern, Musik, Kunst geben? Bald schon fallen dunkle Schatten auf die leuchtende "Märchenstadt" Bukarest: Diktatur, Ceausescu, Securitate ….. Astrid Seeberger ist ein großer, ein bewegender Roman gelungen, erschienen im ambitionierten Urachverlag, kann das Buch uneingeschränkt empfohlen. Großes Leseglück ist garantiert.

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