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sursulapitschi

Posted on 15.11.2020

Es gibt diese Bücher, bei denen man nach dem Lesen das Gefühl hat, eine ganze Weile kein neues Buch mehr anfangen zu können. Dieses hier ist so ein Buch. Es ist kein reines Lesevergnügen, aber man wurde ganz tief in eine Tragödie hineingezogen, aus der man nur schwer wieder auftaucht. Dieses Buch nimmt mit. Mattis und Hege sind Geschwister, nicht mehr ganz jung, aber ihr Leben lang zusammen. Seit dem Tod ihrer Eltern, kümmert sich Hege um ihren Bruder, der es nicht schafft, einer geregelten Arbeit nachzugehen. Er möchte schon gerne, er ist gerne unter Menschen, will helfen, will nicht abhängig sein, etwas leisten, das beachtet wird. Aber auch bei den einfachsten Arbeiten verwirren sich seine Gedanken, schweifen ab, wollen etwas anderes tun, es ist zum Verrücktwerden. Die Menschen im Dorf nennen ihn Dussel, wenn sie meinen, er hört es nicht, aber er hört viel. Er hört viel und er denk viel, analysiert knallhart seine ausweglose Situation. Man kann ihn gut verstehen, sieht quasi hinein in Mattis verwirrten Kopf, nur leider ist das kein Spaß. Er ist anstrengend, nervtötend und man kann auch nachvollziehen, wenn Hege ab und zu genervt und frustriert in ihr Zimmer geht. Was so besonders daran ist, dass eine Schnepfe regelmäßig über das Haus fliegt, das sieht wohl eigentlich nur Mattis, aber der Leser auch ein klein wenig. Dieses Buch schafft es, dass man beide Seiten sieht, die da in einer ausweglosen Situation festsitzen, bis sich tatsächlich etwas ändert. „Oben gingen Murmeln und Reden weiter. Ein rundes Lachen kullerte los und fiel wie eine Kugel zu Boden. So konnte Hege also lachen, wenn sie sich über etwas freute. Hatte er das nicht gewusst?“ Die Sprache ist vermeintlich einfach, aber dennoch unglaublich plastisch und poetisch. Ein großes Kompliment an den Übersetzer, der hier ein Kunststück vollbracht hat. Ich kann nicht beurteilen, wie nah dieser Text dem Original kommt, das in einem norwegischen Dialekt verfasst wurde, aber er ist eigen, besonders und ein Erlebnis. Auch das Nachwort sollte beachtet werden, das eine schöne Interpretation und interessante Hintergrundinformationen liefert und damit das Buch wunderbar abrundet. Dieses Buch entwickelt einen Sog, zieht einen hinein und auch wenn objektiv betrachtet nicht viel passiert, meint man trotzdem hinterher, etwas Besonderes erlebt zu haben. Ich bin beeindruckt.

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