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gwyn

Posted on 13.11.2020

Der Anfang: «Schwester Beate wollte nicht hier sein. Nicht unter so vielen Menschen. Dennoch blieb ihr keine andere Wahl. Noch war sie neu im Konvent auf Mallorca, musste sich anpassen und durfte nicht auffallen. Daran hatte die Klostervorsteherin aus Madrid keinen Zweifel gelassen.» Noch vor seinem offiziellen Dienstantritt wird Comandante Antonio Morales am Sonntag zu einer Toten gerufen. Er hatte sich von Europol ins mallorquinische Morddezernat versetzen lassen, um den Mord an seinem Bruder aufzuklären, der als cold Case abgelegt wurde. Hier wird eine Spur gelegt, die leider ins Leere läuft. Denn kaum auf der Insel angekommen, hat er den Tod einer Nonne zu bearbeiten. Man hat sie die Mauer hinuntergestoßen, verdächtigt wird eine unbekannte Frau, die nahe bei der Ordensfrau von mehreren Personen gesehen wurde. Das Opfer Schwester Clara heißt eigentlich Beate – wie das Team herausfindet, und später wird der Täter noch einmal zuschlagen. Es geht hier um die politische und katholische Geschichte Spaniens, ein schwarzer Fleck, der von behördlicher Seite bis heute gedeckelt wird: Zur Zeit der Franco-Diktatur nahm man Familien Neugeborene und kleine Kinder weg; 300.000 Kinder verschwanden im Spanischen Bürgerkrieg und während der Herrschaft der Franquisten. Entweder man erklärte den Eltern, die Kinder seien tot geboren – oder man bestrafte politisch Unerwünschte ganz offiziell mit der Zwangsadoption der Kinder. Babys und Kleinkinder wurden in die Obhut von kinderlosen Regierungstreuen gegeben. Die katholische Kirche handelte als verlängerter Arm des Diktators. Aber es kommt noch viel schlimmer. Weil die Adoptiveltern viel Geld bezahlen mussten, war die Sache für die Kirche ein lukratives Geschäft. Auch nachdem die Diktatur in eine Demokratie gewechselt hatte, betrieb die Kirche diesen Betrug an den Müttern klammheimlich weiter bis in die 1990er-Jahre! 2018 wurde dem 85-jährigen Gynäkologen Eduardo Vela der Prozess wegen der «bebés robados» gemacht – er konnte nicht mehr belangt werden, denn die nachgewiesenen Fälle waren verjährt, die Akten vernichtet. Diese schmutzige Vergangenheit der katholischen Kirche ging während der Prozesstage 2018 weltweit durch die Presse. Ein Thema, das mich interessierte. In diesem Krimi wird die Thematik zwar angesprochen, allerdings recht oberflächlich und unpolitisch, erst im Anhang zu den Hintergründen am Ende des Buchs erfährt man ein wenig mehr. Das ist schade. Denn gerade die abgründige Emonationalität des Themas hätte dem Krimi Tiefe geben können. Erst heute ist die Francodiktatur ein öffentliches Thema, die Macht der katholischen Kirche – das hat mir völlig gefehlt. Kein Wort über die staatliche Organisation «Auxilio Social» die die Babys vermittelte und sich perverserweise «Sozialhilfe» nannte, oder den Orden «Töchter der Barmherzigkeit», die in ihren Krankenhäusern die Babys den Müttern wegnahmen – der Stoff hätte einiges zu bieten gehabt, insbesondere Inneneinsichten, was leider vertan wurde. Stattdessen haben wir es mit drei Ermittlerteams zu tun: Toni Morales und sein Team, die von Polizeiseite aus ermitteln, seine Ehefrau Mel (Melanie), eine deutsche Anwältin, die zufälligerweise Opfer der «bebés robados» vertritt und zufälligerweise auch noch Anwältin einer Verdächtigen ist, die sie in Immobiliendingen vertritt. Und zufälligerweise glaubt Adelheid, ihr Schwiegersohn Toni Morales hätte die Frau verhaftet, weil sie auf dem Fahndungsfoto, das nach Zeugenaussagen erstellt wurde, jemand anderen erkennt. Sie behält das für sich und verfolgt ihre Verdächtige auf eigene Faust. Kommissar Zufall ermittelt hier an vielen Ecke. Auch der Leser ist mit einbezogen, da hier mehrperspektivisch gearbeitet wird und die Person, die Adelheid im Visier hat, eine eigene perspektivische Rolle bekommt. Trotz einer Palette von Spuren und einigem Trubel war für mich der Krimi langweilig. Zu viel liegt offen und man ahnt, wohin die Sache läuft, wird bestätigt. Hier brodelt nichts, wühlt den Leser nicht auf, die Spannung ist ein gespannter Faden. Die Charaktere sind oberflächlich, ohne Tiefe, recht klischeehaft . Hier ist die Chance, ins Thema einzusteigen. «An diesem Sonntag hatte Mateo die Strecke auf sich genommen, und nach einem Bummel an der Hafenpromenade von Portixol saßen sie jetzt im Schatten bei einer Tasse Kaffee und lauschten den Möwen, die sich kreischend in die Luft schwangen und die Boote von oben beäugten. Die Blätter der wenigen Palmen raschelten im lauen Sommerwind.» Diesem Krimi fehlt für mich jedwede Atmosphäre, ob nun Inquits durch Innenansichten, gute Dialoge oder Textvignetten, etwas, das den Szenen Stimmung gibt. An irgendeinem Ort muss eine Geschichte handeln, natürlich. Ich erwarte kein Sightseeing, das ist mir egal. Mörderisches Mallorca – Mallorca-Krimi – so der Pendo (Piper) Verlag. Mit dieser Aufmachung wird ein Publikum angesprochen, das aber genau dies erwartet. Darum mein Hinweis: Dieser Krimi könnte auch auf Sylt, am Bodensee, in Le Havre oder Split spielen. Wenn überhaupt einmal versucht wird, die Örtlichkeit einzubinden, so werden nur Namen benannt; vorbei an etwas gehen, neben einem Gebäude stehen, in den Hafen blicken, oder der Platz ist so banal beschrieben, dass er irgendwo sein könnte. Achtung Mallorcafans, hier gibt es nichts zu holen, kein Lokalkolorit, nichts Charakteristisches, Kulinarisches usw. Auch sprachlich kann mich der Krimi nicht überzeugen. Stilistisch und im Ausdruck holpert die Autorin dahin, Grammatikfehler inklusive. Hier frage ich mich, wo das Lektorat war! Neben einem Überschuss an Adjektiven und Füllwörtern, vieler Hilfsverbkonstruktionen, holprigen Formulierungen und einer Menge weißer Schimmel (Ex: Jemand holt eine kalte Cola aus dem Kühlschrank.), sind die Dialoge ziemlich flach. Leider hat bei mir dieser Krimi an allen Stellen geknarrt: inhaltlich, atmosphärisch, Charaktere, Spannung und Sprache. Elena Bellmar ist das Pseudonym der Autorin Elke Becker, die 1970 im schwäbischen Ulm geboren wurde. Das Reisen liegt ihr im Blut. So schnürte sie bereits mit achtzehn Jahren ihren Rucksack und zog wochenlang durch Südamerika. Später verbrachte sie ein Jahr in Venezuela, um Spanisch zu studieren. Dort entdeckte sie das Schreiben für sich und absolvierte später eine Drehbuchausbildung an der Master School Berlin. Heute lebt Elke Becker auf Mallorca, Schauplatz ihrer Krimireihe um Ermittler Toni Morales.

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