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Yvonne Franke

Posted on 12.11.2020

Als William Finnegan 1966 als 13- jähriger mit seiner Familie von Kalifornien nach Hawaii zieht, ist er zunächst ein Außenseiter inmitten roher gewalttätiger Jugendlicher. Er fühlt sich leer, bis langsam das Meer beginnt seinen „seelischen Hohlraum“ zu füllen. Eine Obsession nimmt ihren Anfang. Das Surfen hört auf ein Sport zu sein. Es wird zur philosophischen Lebensgrundlage und Ziel allen Handelns. Finnegans Memoiren erzählen von der Macht des Meeres, der Sehnsucht, die es auslöst, dem Leichtsinn, es bezwingen zu wollen und davon wie beim Surfen der Leichtsinn zur Wissenschaft wird. Der Politikjournalist Finnegan, seit über 30 Jahren ist er Redakteur des Magazins The New Yorker, hätte durchaus auch andere aufwühlende Details aus seinem Leben zu berichten, war er doch unter anderem als Kriegsreporter tätig. Seine Autobiographie jedoch klammert diese Tatsache größtenteils aus und beschäftigt sich stattdessen mit der wohl bedeutendsten Leidenschaft seines Lebens. Im zwar packenden aber sachlichen Ton einer Reportage erzählt Finnegan von über 50 Jahren des Surfens an den schönsten und wildesten Stränden in Nordamerika, Australien, Asien und Afrika. Gerade mit Hilfe seiner Nüchternheit und beobachtenden Distanz, gelingt es Finnegan, sich selbst als Getriebenen, als Gefahrensucher zu entlarven. „Wellen waren besser als Bücher, besser als Kino, sogar besser als eine Achterbahnfahrt in Disneyland, denn ihre Gefährlichkeit war nicht künstlich erzeugt. Sie war echt.“ Doch es ist keine kopflose blinde Leidenschaft, die diesen Tanz des Surfers mit dem Ozean ermöglicht. Wie nebenbei schafft William Finnegan ein Verständnis für all die überraschend gut durchdachten Wagnisse des Surfens. „Die Hauptbeschäftigung eines Surfers an seinem Homebreak besteht im genauen, akribischen Studium eines kleinen Küstenabschnitts, jedes Strudels und Winkels bis hin zu einzelnen Steinen, jeder möglichen Kombination aus Gezeiten Wind und Swell - ein langwieriges Studium...“ Die Fachbegriffe der Surfersprache sind so bildlich, dass sie unerklärt bleiben können, (ein Glossar im Anhang muss reichen, bestimmt der Autor) und lässt damit, besonders für die Laien unter seinen Lesern, eine natürliche Poesie zu. Welle und Surfbrett werden zu zwei Körpern, haben Lippe, Face, Nose und Tail. Trotz allem ist William Finnegans Autobiographie weit mehr als das mitreißende Protokoll des 5 Jahrzehnte andauernden Abenteuers eines surfenden Peter Pan. „Barbarentage“ erzählt auch das Leben eines sehr präzisen Beobachters gesellschaftlicher Entwicklungen. Der Autor berichtet über das langsame Verschwinden der körperlichen Brutalität in der Kindererziehung in den USA der 60er und 70er Jahre ebenso eindringlich wie später auf Reisen von den politischen Entwicklungen in Polynesien. Und dann gibt es da noch Finnegans Leben als Familienvater und Ehemann. All das, zugegeben, unter dem Diktat der Gezeiten. „Barbarentage“ wurde 2016 mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnet. Die Übersetzung stammt von Tanja Handels, die zum Beispiel bereits einige Romane von Zadie Smith ins Deutsche übertragen hat, und Jens Steffenhagen, Chefredakteur des Surfmagazins „Blue“.

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