Kitty Catina
Schon lange ist es mir nicht mehr so schwer gefallen, meine Gedanken zu einem Buch in Worte zu fassen, obwohl ich so viel dazu zu sagen habe und auch sagen will. Denn dieses Buch hat mich zerrissen, tief berührt und irgendwie auch wehmütig zurückgelassen. Und auch, wenn ich normalerweise am Anfang meiner Rezensionen noch nicht allzu sehr vorgreifen will, kann ich schon jetzt sagen, dass dieser Roman ein absolutes Jahreshighlight, wenn nicht sogar Lebenshighlight, für mich ist. Entdeckt habe ich es eher zufällig durch eine YouTuberin, die es selbst noch lesen wollte, doch die Beschreibung der Geschichte hat mich einfach sofort in ihren Bann gezogen und neugierig gemacht. Ich musste das Buch einfach haben, weshalb ich es mir gleich als E-Book heruntergeladen und sofort gelesen habe. Eine der besten Entscheidungen, die ich lesetechnisch jemals getroffen habe. Die Geschichte wird aus ganz verschiedenen Perspektiven erzählt, was dafür gesorgt hat, dass ich einen super guten Rundumblick auf die gesamte Situation bekam, in der Wavy eigentlich steckt und obwohl es normalerweise schnell undurchsichtig und chaotisch wird, wenn es so viele Perspektiven gibt, hat es die Autorin hier geschafft, diese Erzählweise so zu perfektionieren, dass es für mich ein Leichtes war, hinterherzukommen. Überhaupt hat sie einen super angenehmen, leichten Schreibstil, der aber auch eine ganz besondere Poesie beinhaltet. Zudem schreibt sie sehr atmosphärisch und bildlich, so dass ich mich komplett in die Geschichte fallen lassen konnte, auch wenn das Thema hier sehr kontrovers und schwer zu verdauen ist. So geht es in dieser Geschichte nicht nur um Verwahrlosung und Kindesvernachlässigung, was sie an sich schon sehr schwer zu ertragen macht, sondern auch noch und vordergründig um die Beziehung zwischen einem kleinen Mädchen und einem erwachsenen Mann. Allerdings konnte ich diese Liebe, die sich zwischen den beiden anbahnt, obwohl ich immer hoffte, es würde nicht so weit kommen, nicht verurteilen. Diese Liebe war einfach so rein und echt, dass ich sie in jeder Seite am eigenen Leib spüren konnte. Ich habe gegen all meine bisherigen Überzeugungen Wavy und Kellen ihre Gefühle füreinander einfach gegönnt. Und als es dann zum großen Knall kam, war ich einfach nur wahnsinnig traurig und verzweifelt für und mit den beiden. Aber die Geschichte hat mich auch viel zum Nachdenken gebracht, sie hat mich gleichzeitig geschockt und begeistert, traurig gemacht und hoffen lassen. Überhaupt spielt sie mit vielen Dingen, über die man sich viel mehr Gedanken machen sollte, so zum Beispiel damit, wie die Menschen weg schauen, wenn etwas in ihrer Umgebung geschieht, was sie nicht sehen wollen. Dabei hätte in dieser Geschichte so viel anders laufen können, wären die Menschen nicht, wie sie nun einmal sind, egoistisch, blind und gleichgültig. Das Schlimmste daran ist allerdings, dass es im wahren Leben nicht anders ist. Auch mit Vorurteilen spielt diese Geschichte, mit Oberflächlichkeit und starren Denkmustern. Es darf einfach nicht sein, was nicht sein soll. Genauso realistisch und tiefgründig wie die Handlung, sind hier auch die Charaktere. Natürlich steht Wavy als Protagonistin im Vordergrund, gleich gefolgt von Kellen. Beide sind super geschriebene, vielschichtige Personen, die von ihrem Umfeld größtenteils extrem verkannt werden und eher Außenseiter sind. Wavy ist das Mädchen, welches nicht spricht, nicht isst und sich nicht anfassen lässt, dafür aber nachts ausreißt und irgendwie ihr eigenes Ding dreht. Dabei ist sie allerdings nicht dumm oder zurückgeblieben, wie alle denken, sondern ein wahnsinnig intelligentes Mädchen mit einem starken Willen und noch mehr Herz und Verantwortungsgefühl. Kellen ist ein riesiger, tätowierter Halbindianer mit Übergewicht, der von allen als hässlich und dumm beschrieben wird, aber ein ebenso gutes und großes Herz hat. Er ist der typische sanfte Riese, der Wavy und ihren Bruder Donal beschützt, sich um die beiden kümmert und für sie da ist. Aber genauso ist Wavy für ihn da und gibt ihm neuen Lebensmut. Zudem gibt es noch ganz viele andere Charaktere, die mal mehr, mal weniger klischeehaft sind, aber immer in der richtigen Dosierung und so, dass es passt. So gibt es da Wavys Eltern, er Drogenboss, der sich nicht um die Familie schert, sie ein psychisch krankes und drogenabhängiges Frack, welches sich genauso wenig um ihre Kinder kümmert. Und auch die Tante spielt eine größere Rolle. Sie sitzt irgendwie zwischen den Stühlen, will einerseits helfen, schaut aber andererseits auch nicht richtig hin und macht so vieles schlimmer statt besser. Insgesamt kann ich nur sagen, dass ich dieses Buch mit all seinen verstörenden Fassetten, der großartigen, wenn auch kritischen Liebesgeschichte, mit seiner Tiefgründigkeit, der Traurigkeit, der Hoffnung und den toll geschriebenen Charakteren einfach liebe. Es beweist, dass Literatur nicht immer nur unterhaltsam und leicht verdaulich sein, sondern auch mal kneifen muss und trotzdem wunderschön sein kann. Für mich hat es jedenfalls bisher viel zu wenig Aufmerksamkeit bekommen und ich hoffe, dass es noch ganz viele Leser so sehr begeistern wird wie mich.