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daniliest

Posted on 1.11.2020

Ich liebe historische Romane, meistens lese ich allerdings welche, die den zweiten Weltkrieg thematisieren. Obwohl ich auch über die DDR schon einiges gehört und gesehen habe, insbesondere Fluchtgeschichten, weiß ich darüber noch immer zu wenig. Deswegen war ich auf dieses Buch sehr gespannt. Das minimalistische Cover in herbstlichen Farben passt perfekt zum Klappentext und gibt dem Roman ein hochwertiges Aussehen. „Die vergessene Heimat“ erzählt zwei Geschichten. 1961 bereitet sich eine Gruppe von Menschen auf ihre Flucht aus der DDR vor während im Jahr 2014 Brittas Vater an Demenz erkrankt. Obwohl die Demenz von Brittas Vater auf dem Klappentext bereits angesprochen wird, war ich nicht darauf vorbereitet, wie viel Platz diese Handlung einnehmen wird. Die Erkrankung ist der zentrale Punkt des Erzählstrangs in der Gegenwart. Wir begleiten die Familie vom ersten Schock über die Zeit der Akzeptanz bis hin zur Selbsthilfegruppen. Ich lese nicht so gerne über Krankheiten, weil ich mir dabei immer vorstelle, wie es wäre, wenn ich selbst damit konfrontiert wäre und diesen Gedanken finde ich beängstigend. Gerade gegen Ende war dieser Teil des Romans wirklich harte Kost uns sehr traurig. Wesentlich lieber habe ich die Handlung in der Vergangenheit gelesen. Ich fand es auf jeden Fall interessant, mehr über die ersten Tage des Mauerbau zu erfahren. Einige Details waren neu für mich, zum Beispiel habe ich aus diesem Buch gelernt, dass die Stasi Flüchtlinge teilweise bis in die BRD verfolgt hat. Auch die Bespitzelungen durch Nachbarn und Kollegen finde ich immer wieder schockierend. Die Vorstellung, dass man sich zweimal überlegt, was man in einem Laden kauft, damit niemand die falsche Schlüsse zieht ist unvorstellbar. Mein persönliches Highlight war die Zeit unmittelbar nach der Flucht, da ich hier wirklich etwas Neues lernen konnte. Alle bisherigen Fluchtgeschichten, die ich gelesen / gesehen habe, endeten mit der erfolgreichen Flucht und der Hoffnung auf ein besseres Leben. Durch diesen Roman habe ich zum ersten Mal über den schwierigen und zum Teil langwierigen Prozess erfahren, den die Geflüchteten durchlaufen mussten. Extrem schockierend auch die Vorstellung, dass es Menschen gab, die in einem Dauerlager leben mussten. Hier muss ich auf jeden Fall noch einmal ansetzen und mehr darüber erfahren. „Die vergessene Heimat“ basiert auf der Familiengeschichte der Autorin. Deana Zinßmeister verarbeitet mit diesem Roman die Erkrankung ihres Vaters und geht zurück zu den Wurzeln ihrer Familie. Da die Geschichte auf wahren Ereignissen beruht habe ich ein schlechtes Gewissen, Kritik zu äußern und würde das Buch lieber mit 5 Sternen bewerten. Es ist nur so, dass das Konzept des Romans für mich nicht funktioniert hat. Deana Zinßmeister schreibt bereits im Vorwort, dass aus Respekt der Familienmitglieder einige Personen namenlos bleiben. Es geht mir hier nicht um Voyeurismus, mir ist es grundsätzlich völlig egal, wie die Menschen hießen, ich hätte es schöner gefunden, wenn die Charaktere fiktive Namen bekommen hätten. Es liest sich einfach merkwürdig, wenn immer von „die jüngere Schwägerin sagt dies“, „der ältere Bruder macht das“, „der Ehemann“, „die Kinder“ die Rede ist. Dies schafft Distanz zur Geschichte, die Personen bleiben gesichtslose Schatten, zu denen ich keinen Bezug hatte. Insgesamt hatte ich nie das Gefühl, wirklich mitten dabei zu sein sondern eher so, als wenn mir jemand etwas erklärt und ich höre zu. „Die vergessene Heimat“ war anders als erwartet, regt aber auf jeden Fall an, sich mehr mit dem Thema DDR und Flucht zu befassen.

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