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stefan182

Posted on 28.10.2020

Inhalt: Parzival und seine Mutter Herzeloyde leben fernab des Hofes und der Ritterwelt in Waldeinöde, da Herzeloyde nicht möchte, dass Parzival das gleiche Schicksal ereilt wie seinem Vater. Doch als Parzival zufällig einer Gruppe von Rittern begegnet, ist es um ihn geschehen: Sie zunächst für himmlische Wesen haltend, erwächst in ihm der Wunsch, selbst in die Welt auszuziehen und Ritter zu werden. Höfische Tugenden sind dem isoliert aufgewachsenen Parzival fern, sodass sein Weg in die Artusgesellschaft und die Gralsgemeinschaft steinig wird. Persönliche Meinung: Der „Parzival“ von Wolfram von Eschenbach ist ein komplexer mittelhochdeutscher Versroman. Dies liegt einerseits daran, dass er anders als andere Versromane („Iwein“ oder „Erec“) nicht nur einen Protagonisten besitzt, sondern, neben dem namensgebenden Parzival noch zwei weitere: 1. Gahmuret, den Vater Parzivals, durch den die Vorgeschichte Parzivals erzählt wird; 2. Gawan, der höfischste aller Artusritter, dessen Handlungsbogen mit dem von Parzivals vergleichbar ist und der gewissermaßen – im Vergleich zu Parzival, der einen göttlichen Weg geht – einen weltlichen Weg verläuft. Andererseits bricht „Parzival“ mit zeitgenössischen Erzählweisen. Als Strukturmerkmal des höfischen Artusromans wird häufig der Doppelweg genannt (verkürzt gesagt: Der Ritter zieht aus, bestreitet episodische Aventiuren, gewinnt so Frau und ére, kehrt beim Artushof als scheinbar ehrenvoll ein, gerät dort aber in eine Krise und erkennt seine Verfehlungen im 1. Aventiureweg, zieht erneut aus, bestreitet parallele Aventiuren und erhält so die immerwährende ére, was einem Happy End gleichkommt). „Parzival“ macht das bedingt anders: Zwar existieren einzelne Hinweise auf einen Doppelweg (episodische Aventiuren; Krise am Höhepunkt, bedingt parallele Konstruktion), doch besitzt „Parzival“ kein direktes Happy End, seine Verfehlung wird nicht 100%ig deutlich, der doppelte Cursus ist komplexer und neben Parzival gesellt sich Gawan als ebenbürtiger Protagonist. Auch die Handlung ist vergleichsweise komplex: Sie ist in einem hohen Grad durchkomponiert und – was mich besonders überrascht hat – beinhaltet einzelne Aufdeckungen, die an ein anachronistisches Erzählen erinnern. Man muss den „Parzival“ also mindestens zweimal lesen, um ihn in voller Gänze verstehen zu können (tatsächlich ist es so, dass man ihn, je öfter man ihn liest, umso mehr liebt). Mich hat an „Parzival“ besonders das Hervortreten des Erzählers begeistert. Dieser stellt sich in einzelnen Episoden in den Fokus; ich möchte allerdings nur kurz auf den Prolog eingehen, in dem der Erzähler, wie ich finde, ein recht modernes und (damals) progressives Selbstverständnis offenbar: Metaphernreich führt er dort aus, dass eine Geschichte nicht schwarz-weiß sei, sondern auch immer Grautöne vorhanden seien (was sich übrigens in den Protagonisten von „Parzival“ widerspiegelt). Die Vergleiche, die er dort nennt, seien für „tumbe liute“ (salopp: für Einfältige) zu schwer. Auch seine Erzählung werde zwischendurch ausweichen, sich umkehren, in anderen Worten: hakenschlagen. Das hakenschlagende Erzählen ist im „Parzival“ Programm: Am Ende bleiben einzelne Fragen offen; bestimmte Handlungen erscheinen aus moderner Sicht unmotiviert (Handlungsmotivationen in mittelalterlichen Texten waren aber sowieso anders als heutzutage); bisweilen scheint es wirr erzählt, der Gawan-Parzival-Wechsel ist abrupt. Der Interpretationsspielraum ist dementsprechend groß und daher ist es verständlich, dass Generationen von Germanisten am „Parzival“ herumgedeutet haben, nach Sinn suchten und ihre Deutungsansätze erklärten. Die Ausgabe vom Deutschen Klassiker Verlag umfasst zwei Bände, in der sich sowohl der mittelhochdeutsche Text als auch eine neuhochdeutsche Übersetzung finden. Der zweite Band besteht hauptsächlich aus einem Stellenkommentar (360 Seiten!), einem Personenverzeichnis und einem kurzen wissenschaftlichen Beitrag, der in Autor, Werk, Interpretationsansätze und Rezeption einführt.

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