sursulapitschi
Eigentlich habe ich mit Mittelalterromanen abgeschlossen, alle Hebammen, Berufsstände, Bauwerke, Minnesang und auch die Tafelrunde hinreichend gelesen. Da kommt so ein Halbbart, setzt sich auf die Longlist des Deutschen Buchpreises und lacht. Da muss man ihn doch lesen, oder? Dieses Buch ist anders, das merkt man direkt nach den ersten Sätzen. Hier erzählt der 12jährige Sebi, von sich, seiner Familie, seinem Dorf und wie er den Halbbart kennengelernt hat in einer Sprache, die ich so noch nie gelesen habe, spaßig, warmherzig, klug, irgendwas zwischen schweizerisch, naiv und altertümlich, auf jeden Fall originell und lebendig. Er ist ein Exot, dieser Halbbart, ein Fremder, gezeichnet, und wird, obwohl viel älter, Sebis Freund und Berater, aber eigentlich geht es gar nicht so sehr um ihn. „Der Halbbart“ erzählt von den Kindertagen der Schweiz, vom Leben im Mittelalter und vom Marchenstreit, wo sich der Klerus und die Habsburger um Ländereien stritten und die Schwyzer es ausbaden mussten. Dabei kümmert man sich nicht um große Politik oder hohe Herrschaften, sondern erzählt die Ereignisse aus Sicht der kleinen Leute, wodurch man alles fast am eigenen Leib erfährt. Geschichte live, wir sind mittendrin im tiefsten Mittelalter, das sich, obwohl schon hundert Mal gelesen, plötzlich ganz anders anfühlt. Eine Zeit voller Willkür, Aberglaube und Grausamkeiten. Dann geht es noch um Geschichten. In einer Zeit, wo kaum jemand lesen kann, haben Geschichten einen ganz anderen Stellenwert als heutzutage. Da wird das Teufels-Anneli heiß erwartet, die fahrende Geschichtenerzählerin, die Legenden spinnt und uns zeigt, wie aus Geschichten Geschichte werden kann. Habt ihr gewusst, dass die Schweizer eigentlich Schweden sind? Dieses Buch macht Spaß und zeigt, wie historische Romane sein sollten. Es ist eine tolle Mischung aus Humor und grausig Realistischem, gespickt mit klugen Einwürfen. Immer wieder bekommt man witzige Weisheiten serviert. „Wenn einer zu viel Mut hat, habe ich einmal sagen hören, bleibt kein Platz für den Verstand.“ Es ist wirklich ausführlich und man kann es langatmig finden, nur hat mich das hier überhaupt nicht gestört. Ich hatte viel Spaß und habe viel gelernt und empfehle sehr gerne dieses ungewöhnliche Buch.