emiliana
Kashmir - schon der Name klingt verheißungsvoll, erinnert er doch an die Geschichten aus 1001 Nacht, weckt er Assoziationen zu feinster Seide, zu Gewürzen, Geheimnissen, überwältigender Schönheit! Und gerade letztere zeichnet in der Tat das 135 Kilometer lange und 32 Kilometer breite Kashmirtal hoch im Norden des indischen Subkontinents aus, von dem schon der persische Dichter Amir Chosrau sagte: "Wenn es ein Paradies auf Erden gibt, dann ist es hier, hier, hier", Worte, die in den Hauptpavillon der berauschend schönen Shalimar-Gärten südlich von Srinagar eingemeißelt sind. Doch das Paradies ist gefährdet; lange schon schwelt der Kashmir-Konflikt, dessen Wurzeln weit in die Geschichte des Landes, ehemals Kreuzungspunkt der Seidenstraße wie auch Schnittpunkt buddhistischer, kaschmirisch-hinduistischer und ab dem 13. Jahrhundert islamischer Herrschaftsbereiche, zurückreichen. Eine Lösung scheint nicht in Sicht, immer wieder flammen bewaffnete Aufstände zwischen pakistanischen und indischen Einheiten auf, Protestbewegungen werden blutig niedergeschlagen, die das Land regelmäßig in den Ausnahmezustand versetzen, vor Attentätern ist das gebeutelte Volk niemals sicher. Das ist die Kulisse des traumschönen Epos, mit dem die Autorinnen Simone Dorra und Ingrid Zellner in ihrer Kashmir-Saga ihre Leser beschenken und deren vierter Band hier zu besprechen ist. Wie seine Vorgänger berührt er tief, lässt vor dem Leser eine von nicht abreißenden Unruhen heimgesuchte Welt erstehen, die doch geprägt ist von tiefer, unverbrüchlicher Freundschaft, die die handelnden Personen verbindet und die immer wieder, bedingt vor allem durch die politisch dauerhaft prekäre Situation, harten Bewährungsproben ausgesetzt ist, von Hilfsbereitschaft, Großzügigkeit, Güte und Selbstlosigkeit, von Mut und nicht zuletzt von Vergeben und Verzeihen, ganz besonders aber von Liebe, dem stärksten, dem mächtigsten aller Gefühle, das allein es möglich macht, den Gefährnissen zu trotzen und sie zu überleben - gegen alle Wahrscheinlichkeiten! Und wie die drei ersten Bände besticht Ein Band aus Stahl - Symbol für den Zusammenhalt der Protagonisten in der so schönen wie unheilen Landschaft, in der sie sich zu leben entschlossen haben - vor allem durch seine eindrucksvoll zum Leben erweckten, unvergesslichen Charaktere, deren oft dramatische Leidenswege unendlich bewegen und berühren. Wir treffen sie hier alle wieder, Vikram und Sameera Sandeep, die nahe der Hauptstadt Srinagar das Waisenhaus Dar-as-Salam, das "Haus des Friedens", führen, samt ihren Kindern, die viel Schlimmes erlitten haben, bevor Vikram sie zu sich holte und die nun bei dem ehemaligen Agenten der indischen Abwehr und seiner Frau, einer Ärztin mit irischen Wurzeln, die liebevolle Zuwendung erfahren, die ihnen hilft, ihre Traumata allmählich hinter sich zu lassen. Und auch Raja Scharma, der sanftmütige, von Selbstzweifeln geplagte Held, der keiner sein möchte, aus Shivapur spielt wieder eine tragende Rolle, genauso wie seine Frau Sita und seine gesamte große und großartige Familie samt Freunden. Durch viele tiefe Täler hatten sie bereits gehen müssen, das Leid ist keinem von ihnen fremd - doch wenn man nun glaubt, dass endlich eine Zeit der Ruhe und des Friedens einkehren würde bei beiden Familien, was der Beginn der Geschichte durchaus auch suggeriert, dann irrt man sich gewaltig! Die Vergangenheit lässt sich nun einmal nicht abschütteln - und so gönnen die beiden Autorinnen ihren Helden nur eine kurze Verschnaufspause, um dann, recht unerwartet, die Ärztin Sameera, zu diesem Zeitpunkt überglücklich über eine nicht mehr erwartete Schwangerschaft, und Raja, den langmütigen Sympathieträger der Saga, der mehr als zwanzig Jahre unter grausamen Bedingungen unschuldig im Gefängnis gesessen und sich doch seine große Menschlichkeit und Freundlichkeit bewahrt hatte, in eine so gefährliche wie aussichtslose Lage zu bringen, aus der, wenn überhaupt, keiner von beiden, so ist zu mutmaßen, unbeschadet herauskommen kann. Doch aufs Neue bewährt sich schließlich die Freundschaft, gegen die auch die schlimmsten und rachsüchtigsten Bösewichte, die sich meisterhaft aufs Morden und Quälen verstehen und die wieder einmal die Antagonisten der heldenhaften, leidgeprüften Protagonisten sind, am Ende nichts ausrichten können... Ja, Simone Dorra und Ingrid Zellner, Meisterinnen der schönen Worte und gleichzeitig zwei großartige Geschichtenerzählerinnen und Geschichtenmalerinnen voller Phantasie, berichten in der Tat von großen Gefühlen! Doch ersparen sie dem Leser auch nicht die Finsternis menschlicher Bosheit, Bösartigkeit und Grausamkeit, was gewiss nicht leicht zu ertragen ist, was mitnimmt, mitleiden lässt und zutiefst erschüttert, was aber die Welt wiederspiegelt, in der sie ihren Roman nun einmal spielen lassen, eine Welt, die, so hat man den Eindruck, trotz all seiner Schattenseiten und täglich lauernden, nur allzu oft nicht einschätzbaren Gefahren, ihre ganz persönliche Herzenswelt ist. Und diese lassen sie den Leser durch ihre Augen sehen und mit allen Sinnen spüren, wie das nur wirklich gute Märchenerzählerinnen vollbringen! Und so klingt der Name Kashmir bald nicht mehr nur verheißungsvoll sondern er wird gar zum Symbol für Verheißung, für unstillbare Sehnsucht und der Hoffnung darauf, dass endlich Frieden einkehren möge in diesem geschundenen Paradies und für all die Menschen, die dort leben!