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jankuhlbrodt

Posted on 25.10.2020

Teufelei! Es liegt vielleicht an der Pandemie, aber das wäre eine recht teuflische Konstruktion. Sicher ist jedoch, dass je mehr ich mich in Innenräumen ohne weitere Besatzung aufhalten muss, ich also nur mit meinem Computer allein bin, also mit dem Internet körperlos mit der Welt verbunden, und einem Stapel Bücher, um so mehr kommen meine Gedanken in eine spezifische Bewegung, sie rekonstruieren Gewesenes. Eigentlich geht es mir ähnlich wie dem Jungschriftsteller Iwan aus dem Roman „Der Meister und Margarita“ von Michail Bulgakow in der Nervenheilanstalt. Und dieser Roman liegt auch auf diesem Stapel und ist gleichzeitig eine meiner liebsten Lektüreerfahrungen überhaupt. Prägend war für mich die Übersetzung von Thomas Reschke, die in der DDR erschienen war und die ich in den Achtzigerjahren gelesen hatte. Dieser Reschke-Bulgakow war für mich der echte Bulgakow. Und dich las mich in den folgenden Jahren durch dieses Werk. Später stieß ich auf Übersetzungen von Alexander Nitzberg, die mich allerdings wenig überzeugten, zumindest nicht so sehr, dass sie mich von Reschke abbrachten. Das lag vor allem daran, dass sie einen merkwürdige Maniriertheit in die Texte brachten und sie damit überdrehten. Die Nitzbergvarianten waren einfach überinstrumentiert. Allerdings wusste ich nicht, ob sie mit dieser Überinstrumentierung den Originalen vielleicht näher waren. Wenn dem so ist, dachte ich, dann würde die Übersetzung das Original übersteigen. Was übrigens ein lästerlicher Gedanke ist, aber ein lästerlicher Gedanke passte ja im Grunde ganz gut zum Meister, zumindest aber auf alle Fälle zu einer der Hauptpersonen. Voland: der Teufel. Es ist nämlich der Teufel höchst selbst, der in das Moskau der Dreißiger Jahre kommt, um auf verschiedenen Ebenen Verwirrung zu stiften. Am verwirrtesten ist natürlich der eingangs erwähnte Iwan, der in eine Nervenheilanstalt eingeliefert wird, weil er die Wahrheit sagt. (Was sich hier absurd ausnimmt, war allerdings im stalinistischen Russland keine Sonderbarkeit, und hätte Bulgakow seinen Roman ein paar Jahre später geschrieben, wäre er vielleicht nicht so witzig spritzig ausgefallen wie dieser. Wiewohl man sagen muss, dass der Autor nicht unbedingt als widerständiger Autor gelten kann. Er suchte durchaus die Nähe zur Macht. Vielleicht ist er in seiner Haltung dem von ihm in einem anderen Werk porträtierten Moliere vergleichbar; oder einem Goethe, der sich ja auch in die Sphären politischer Macht begab. Was aber nicht zu einer schnellen Publikation des Buches führte. Der Tod des Diktators musste eintreten; und noch ein paar Jahre mussten verstreichen, bevor der Roman 1966 veröffentlicht wurde. Es ist der Fauststoff, den Bulgakow bearbeitet und der genau mit dieser Ambivalenz spielt. Vielleicht ist es ja auch das Privileg der Satire, das Bulgakow selbst im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen eines natürlichen Todes sterben ließ. „Der Meister und Margarita“ liegt nun jedenfalls in der neuen Übersetzung der in Moskau geborenen Alexandra Berlina vor. Und ich muss sagen, dass ich mich in dieser Variante als Leser in gleichem Maße wohl fühle, wie seiner Zeit in Reschkes. Der Text wirkt hier, wiewohl die Bedingungen seiner Entstehung nunmehr lange zurückliegen, zeitgemäß und frisch. Die Absurdität des Situativen gibt einen Blick frei auf das, wenn man so will, Überzeitliche des Stoffes. Es ist ein handfester Humor, der das Ganze grundiert. Und der Schutzumschlag ist auch ziemlich cool!

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