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stefan182

Posted on 23.10.2020

Inhalt: Ein kleiner Junge flüchtet sich auf den Speicher des Landsitzes seiner Eltern. Seine Mutter, die an Krebs erkrankt war, wird gerade vom Bestatter abgeholt. Der Speicher ist staubig, voll mit Statuen, Möbeln und Gemälden, die über Generationen angesammelt worden sind. Doch der Junge ist nicht allein. Hinter einer Gemäldewand versteckt sich ein Mann, der den Jungen mit Zimtschokolade lockt. Persönliche Meinung: „Der Speichermann“ ist ein Graphic Novel, der auf Kai Meyers Kurzgeschichte „Der Speichermann“ basiert und von Jana Heidersdorf adaptiert und gezeichnet worden ist. Es handelt sich um eine Schauergeschichte im winterlichen Setting. Passend dazu sind die Zeichnungen von Heidersdorf in kühlen Farben gehalten (kaltbläulich, weiß, helles ockergelb und lila). Der Zeichenstil erweckt einen schummrigen Eindruck, der die Grundstimmung der Kurzgeschichte einfängt und an das Zwielicht, das auf Dachböden herrscht, erinnert. Außerdem erweckt er Assoziationen zum Malstil von Gemälden. Man kann gewissermaßen die Pinselstriche sehen, was wiederum auf die Gemäldewand verweist, hinter der sich der Speichermann versteckt. Insgesamt fangen die Zeichnungen sehr gut den surrealen Zug der Kurzgeschichte ein und spiegeln ihn wider. Am Ende des Graphic Novels ist die Kurzgeschichte von Kai Meyer abgedruckt, die lange (als Printversion) vergriffen war. Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive des namenlosen kleinen Jungen, den wir über mehrere Jahre (und Besuche auf dem Speicher) begleiten. Der Erzählstil ist dabei detailliert und melancholisch und eignet sich daher – wie auch die Adaption – für die kältere Jahreszeit, in der der Winter in Düsternis und Zwielicht erscheint und noch nicht fröhlich und heimelig in Weihnachtsbeleuchtung erstrahlt. Der Speicher als Handlungsort ist schön plastisch gestaltet: verstaubt, vollgestellt, geheimnisvoll und gruselig. Die Handlung ist rund und folgt einem literarischen Schema, das ich zwecks Spoilergefahr nicht näher benennen möchte. Das Ende ist besonders durch die Traurigkeit, die es erzeugt grandios. Kai Meyers Kurzgeschichte ist bereits erdrückend melancholisch; Jana Heidersdorf erweckt in ihrer Adaption den Speicher, den Mann und den Jungen zum Leben, sodass sich Meyer und Heidersdorf kongenial ergänzen und „Der Speichermann“ noch intensiver wird.

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