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DasIgno

Posted on 22.10.2020

Während William Keane in einem vielbeachteten Gerichtsprozess erreichen will, dass die Sklaverei aus der amerikanischen Geschichte gestrichen wird, bricht plötzlich auf der ganzen Welt die Katastrophe aus. Die wichtigsten Bibliotheken und Archive gehen in Flammen auf, Historiker und Zeitzeugen der schlimmsten Epochen der jüngeren Vergangenheit werden ermordet. Maggie Costello wollte zwar kürzer treten, ist aber schnell bereit, sich den Geschehnisse zu widmen, als sie darum gebeten wird. Schnell wird ihr klar, hier ist eine konzertierte Aktion in vollem Gange und das Ziel ist so offensichtlich wie schrecklich: Das historische Gewissen der Welt soll ausgelöscht werden, damit die Menschheit auf einem weißen Blatt neu anfangen kann. ›Die Wahrheit‹ ist, und das finde ich nach ›Der Präsident‹ wirklich schwer, für mich zweifellos der bislang schlimmste Teil der Serie um Maggie Costello. Und damit meine ich nicht die Qualität des Thrillers. Die ist extrem gut, aber uff, ich habe gelitten wie bei wenigen fiktionalen Büchern. Die Geschichte und die Implikationen, die sie mit sich bringt und die Bourne schonungslos ausarbeitet, sind für mich dermaßen furchtbar, da hat das Lesen viel mit mir gemacht. Alleine die Vorstellung, es würde reichen, die historischen Belege für Sklaverei oder die Shoah zu vernichten, um sie juristisch ungeschehen, weil unbelegbar, machen zu können … wie grausam ist das? Da hilft es auch nicht, dass ›Die Wahrheit‹, erschienen 2020, natürlich wieder nah an der aktuellen Lage in den USA geschmiedet ist und diese ganze Geschichte, die Herleitungen, die Argumentationen – Crawford McNamara (aka. Steve Bannon) und William Keane halten seitenlange Monologe, die 1:1 aus dem Lager des derzeitigen Präsidentendarstellers (Herrje, schon wieder) stammen könnten – weit weniger fiktional scheinen, als sie sollten. Um das also kurz zu fassen, Bourne hat ein Szenario konstruiert, das extrem gut ist, weil es extrem fürchterlich ist. Er verstärkt das, indem er es recht nahtlos in die aktuelle politische Lage in den USA einbettet. Dadurch konnte ich ›Die Wahrheit‹ nicht alleine als Unterhaltungsliteratur lesen, auch wenn es zweifellos in die Sparte gehört. Das Buch ist auch eine Mahnung, rote Linien insbesondere nach Rechts zu ziehen und sie dann auch vehement zu verteidigen. Als quasi notwendigen Nebeneffekt spielt Bourne eine Debatte durch, die, abseits eines wissenschaftlichen Diskurses, wahrscheinlich auch nur in rechten und – könnte ich mir thematisch vorstellen – höchstens noch libertären Kreisen existiert: Ginge es den Gesellschaften der Menschheit insgesamt besser, wenn sie nicht mit ihren Altlasten leben müssten? Kriege, Vorurteile, Unterdrückungsmechanismen … vieles davon begründet sich in hohem Maße auf Geschehnisse in der Vergangenheit. Gäbe es die im kollektiven Bewusstsein nicht mehr, könnte dann jede Generation nicht wieder bei Null anfangen? Bournes Antwort auf die Frage ist ein eindeutiges Nein, das zeigt sich alleine schon aus den Motiven, aus denen die Verfechter der These im Buch agieren. Denn die liegen quasi immer in einer Machtposition, die von unbequemen Altlasten bereinigt werden soll. Um es deutlicher zu sagen: ›Weiße‹, gut situierte Menschen. Ihnen gegenüber stehen Marginalisierte, die um die effektive Anerkennung ihrer Vergangenheit kämpfen. An der Stelle möchte ich einen kleinen Kritikpunkt anbringen: Relativ früh im Buch unterhält sich Maggie mit Mike Jewel, dem Schwarzen Wortführer einer Anti-Hass-Kundgebung. Er duzt sie, sie siezt ihn. Das Setting fällt mir öfter auf und es stört mich, denn bei Übersetzungen aus dem Englischen basiert es immer auf einer Interpretationsleistung, schließlich existiert der Unterschied zwischen formeller und informeller Anrede im Original nicht. Es mag Kontexte geben, in denen eine Differenzierung auf dieser zusätzlichen Ebene inhaltlich Sinn macht, wahrscheinlich ist das sogar meistens der Fall. Hier haben wir mit Maggie aber eine Figur, zu der dieses Beharren auf einer formellen Anrede gegen die informelle ihres Gegenübers nicht passt. Und dann sollte man es auch lassen, weil es eine Wertung der Charaktere beinhaltet, die, jedenfalls in der Schärfe, im Original nicht vorhanden war. Nevertheless, lest ›Die Wahrheit‹! Das Buch ist nicht nur als Teil der Serie um Maggie Costello super, es bearbeitet auch ein Thema, das leider sehr in die aktuelle Zeit passt. Bourne warnt, und das laut. Er mag die Sache überziehen – dafür ist es Fiktion -, aber geschichtsrevisionistische Bemühungen gibt es und sie sind gleichermaßen eine große Gefahr.

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