Profilbild von Babscha

Babscha

Posted on 18.10.2020

Moritz Liebig ist 37, lebt zusammen mit seiner Freundin Jessy und seinem kleinen Sohn in einer deutschen Großstadt und führt ein eigenes, ganz gut laufendes Cafe in zentraler Lage. Alles bestens, könnte man meinen, aber ganz so ist es nicht. Sein Leben wird latent überschattet von seinen Erlebnissen in einem Elternhaus mit der „klassischen“ Negativkonstellation, nämlich einem charakterlich durch und durch verbogenen, unerträglichen Vater, der alles und jeden hasst und die ihm gleichgültige Familie pausenlos drangsaliert sowie einer schwachen, unselbstständigen und willfährigen Mutter, die dem nichts entgegen zu setzen weiß, sich unterordnet und ihr Leben in kleinkarierten Konventionen einrichtet. Noch an seinem 18. Geburtstag packt Moritz seine sieben Sachen, zieht zu seinem Jugendfreund Lucky und bricht den Kontakt zu seinen Eltern vollständig ab. Heute, fast 20 Jahre später, steht eines Morgens sein Vater, inzwischen über achtzig, plötzlich in seinem Cafe und erzählt ihm, dass die Mutter vor drei Monaten gestorben sei, er jetzt auch nicht mehr leben wolle und Moritz ihm dabei helfen soll, sich ebenfalls ins Jenseits zu verabschieden. Dieses Erlebnis löst bei Moritz einen massiven flashback aus, alle mühsam verdrängten Erinnerungen kommen wieder hoch. Ob er will oder nicht muss er sich seinem Vater und seiner Vergangenheit endgültig stellen, sein Leben nochmal reflektieren und sowohl für sich wie auch für seine Familie einen bestmöglichen Ausweg aus dieser verworrenen Situation finden. Das Buch hat mir insgesamt gut gefallen, man taucht, unterstützt von einigen aussagekräftigen, erhellenden Rückblenden in die Vergangenheit, immer mehr ein in die Problematik dieser ganz speziellen Familie, in der der sensible, einfach nur auf ein wenig Zuneigung und Anerkennung hoffende Moritz und seine jüngere, später auch noch auf den Plan tretende Schwester wahrlich nichts zu lachen hatten. Das Spannungsverhältnis zwischen Vater und Sohn, der sich einem zwischen Wut, Gleichgültigkeit und Mitleid pendelnden inneren Gefühlschaos ausgesetzt sieht, ist sehr greifbar und lässt auch den Leser/die Leserin (zumindest mich) eine komplette antipathische Haltung gegenüber diesem unerträglichen Ekelpaket von Mensch einnehmen, das ja leider so oft tonangebende Realität in (deutschen) Familien war/ist. Die schwere, problematische Kernstory des Romans wird durch den Autor sehr gekonnt abgefedert über einen gelungenen, permanent unterschwellig mitlaufenden Wortwitz in den Erzählungen aus der Gegenwart mit skurrilen Typen und Begebenheiten, was dem Ganzen die Spitze nimmt und alles etwas auflockert. Leider bleibt die offensichtliche Ernsthaftigkeit des Buchanliegens (ohne hier bierernst sein zu wollen) vor allem in der zweiten Hälfte bis zum etwas gefälligen Schluss durch ein leichtes „too much“ des Humoresken aber für mich etwas auf der Strecke, so dass man verstärkt meint, einen Unterhaltungsroman zu lesen. Aber vielleicht ist das ja auch genau so gewollt. Insgesamt ein durchaus lesenswertes Buch, in dem man sich auch mit seinen eigenen Lebenserfahrungen sehr gut wiederfinden kann und das die Abgründe gestörter bzw. kaputter Familienbeziehungen incl. deren Folgewirkungen auf die Nachfolgegeneration mit hoher Sprachkompetenz auslotet und auf den Punkt bringt.

zurück nach oben