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stephanienicol

Posted on 13.10.2020

Im Original ist der vierte Roman von Autorin Emily St. John Mandel unter dem Titel “Station Eleven” bekannt; die deutsche Ausgabe trägt den Buchtitel “Das Licht der letzten Tage”. Beides durchaus passend, auch wenn mir hier ausnahmsweise tatsächlich sowohl der deutsche Titel als auch das deutsche Cover des Piper Verlags sehr viel besser gefallen. Eines Abends bricht Arthur während seiner Aufführung des König Lear zusammen. Er stirbt nur wenige Tage bevor tausende Menschen weltweit sterben. Jeevan dagegen erfährt als einer der ersten überhaupt, dass sich die Georgische Grippe sehr viel schneller ausbreitet, als man zuvor angenommen hatte und verbarrikadiert sich gemeinsam mit seinem Bruder in dessen Wohnung, um der tödlichen Krankheit und dem damit verbundenen, sicheren Tod zu entgehen. Kirsten war acht Jahre alt, als sie damals vom Rand der Bühne aus Arthur zusammenbrechen sah. Im Jahre zwanzig nach dem Zusammenbruch der Welt, wie wir sie kennen, ist sie immer noch großer Shakespeare-Fan und reist gemeinsam mit der Symphonie umher und führt Theaterstücke auf – in einer Welt ohne jegliche Zivilisation und in welcher sich kaum jemand noch an Elektrizität und die frühere Welt erinnert. “Die Hölle ist die Abwesenheit von Menschen, nach denen man sich sehnt.” – Seite 177 Der Großteil aller bisher von mir gelesenen Dystopien war prinzipiell für Jugendliche gedacht. In all diesen Endzeit-Szenarien trafen Jugendliche auf eine mehr oder weniger abstrakte sowie dystopische Welt und die Handlung dieser Bücher war geprägt vom Kampf ums Überleben sowie einer Liebesgeschichte, oftmals auch noch einem Liebesbeziehungs-Dreieck. Kurzum: das waren wirklich erfundene, zwar spannende aber auch unterhaltsame Geschichten, die jedoch alle vollkommen unrealistisch erschienen. “Das Licht der letzten Tage” erzählt nun aber von einer gar nicht mal so utopischen Welt. Ja, die moderne Zivilisation bricht zusammen und übrig bleibt eine Welt, die einer Dystopie gleicht – jedoch empfand ich die Art dieses Zusammenbruchs als unfassbar realistisch. Eine Krankheit, die Georgische Grippe, breitet sich rasend schnell aus und wird somit zu einer Epidemie. Eine Gruppe von Passagieren aus Europa bringt die Krankheit nach Nordamerika, wodurch sie sich sehr schnell weltweit ausbreitet. Die Symptome gleichen einer starken Grippe, nach zwei Tagen stirbt man gewöhnlich. Dadurch sterben 99 Prozent der Bevölkerung – weltweit. Dystopie hin oder her – für mich klingt dieses Szenario alles andere als absolut abwegig. Und für mich persönlich war diese recht realistische Handlung gerade so interessant. Doch dieser Roman handelt gar nicht nur von dieser Welt nach dem Zusammenbruch. Mandel erzählt vielmehr in Rückblenden und diversen Wechseln von Erzählperspektiven die Geschichten mehrerer Charaktere, welche Stück für Stück ein großes Gesamtbild ergeben. So erfährt der Leser mehr über Arthur und was für ein Leben er gelebt hat, wie er es gelebt hat. Personen, welche in seinem Leben vor kommen, erzählen auch ihre Geschichte. Dieser Handlungsstrang spielt beispielsweise stets in der Vergangenheit, in der noch uns bekannten modernen Welt. Lediglich Kirstens Geschichte verfolgt man hauptsächlich im Jahre zwanzig. Diese vielen Wechsel der Welten und Perspektiven machen diesen Roman unheimlich lebendig und interessant. Ich mochte die dadurch verursachte Abwechslung sehr, da mich die Realität der Welt nach dem Zusammenbruch tatsächlich recht bedrückt hat und ich so immer wieder für einige Seiten in die “normale” Welt zurückkehren konnte. Trotzdem mochte ich fast die Abschnitte in der neuen Welt am liebsten, da die Autorin so bildhaft und authentisch beschrieben hat, wie diese Welt aussieht, wie man überlebt, welche Bedingungen herrschen. Überhaupt mochte ich den Erzählstil der Autorin sehr. Sie hat es geschafft, mich von der ersten bis zur letzten Seite hinweg zu fesseln und das ohne jegliche besondere Spannungselemente, sondern vor allen Dingen mit ihrem bildlichen Schreibstil, welcher mich einfach in die richtige Stimmung brachte. Ich hatte jede einzelne Szene bildhaft vor Augen und war wirklich Teil der Handlung, so dass ich auch nach Beenden der Lektüre nicht aufhören konnte, über diese nachzudenken – ein Umstand, der bei mir so gut wie niemals vorkommt. Zugegeben, es fällt mir ein wenig schwer die richtigen Worte zu finden und weshalb mir dieser Roman so (unfassbar) gut gefallen hat. Es ist wohl schlichtweg die perfekte Mischung von einem wunderbaren Schreibstil, berührenden Lebensgeschichten, bekannten sowie unbekannten Welten und interessanten Charakteren. Der Verlag selbst beschreibt den Roman als “hoffnungsvoll düster, schrecklich zart und tragisch schön” und ich bin der Meinung, dass dieser Satz es absolut perfekt auf den Punkt bringt. “Das Licht der letzten Tage” passt in keines der üblichen Genres, es ist eine tolle Genre-Mischung und meiner Meinung nach sehr lesenswert. Ganz große Leseempfehlung für jeden, der etwas anderes und Außergewöhnliches lesen möchte.

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