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gwyn

Posted on 10.10.2020

Der Anfang: «Helenas Mutter liegt wach und lauscht, ob ihr Mann noch lebt. Jede Nacht hört sie nach einer sehr kurzen Phase des Dösens auf zu schlafen, weil sie befürchtet, dass ihr Mann nie mehr die Augen öffnet.» Drei Frauen Anfang dreißig. Drei ähnliche Leben mit drei verschiedenen Charakteren – sehr privilegierte Karrierefrauen – geprägt vom selben Gefühl: Jetzt die Weichen für ihr Lebensglück stellen zu müssen, Karriere oder Kind, die biologische Uhr tickt laut. Druck aus der Gesellschaft, aus der Familie. Das Gerangel mit den Kollegen um Positionen, dauernd angebaggert, angegrabbelt zu werden, von Männern erniedrigt zu werden – wie lange will man das durchhalten? In ihrem ersten Roman, «Verspielte Jahre», beschrieb Laura Karasek junge Menschen, die mit Abschluss des Studiums an ihrer Masterarbeit sitzen, sich gehen lassen. Gut situierte junge Menschen, die teils in Privatschulen groß geworden sind, teils im Ausland gelebt haben, Auslandssemester absolvierten, Kinder, die für die Studenten-WG Putzfrauen engagieren, ständig Partys in Clubs feiern. Eben privilegierte junge Menschen. Dieser Roman schließt in der Gesellschaftsschicht an, der Laura Karasek auch selbst angehört. Drei Frauen mit Anfang dreißig in Top-Jobs, verheiratet mit Männern in Top-Jobs, attraktive Partygirls, die auch privat gern Highheels tragen. Leblose Männer, die nur am Rande ins Spiel kommen, Männer, recht klischeehaft in der Anlage. Helena, im Verlagsmanagement tätig, durchleidet eine tiefe Phase des Abschiednehmens vom Vater, der immer mehr dahinsiecht in seinem Krebsleiden, sterben wird. Erinnerungen an den geliebten Vater. Diese Figur ist mir am nächsten, denn sie ist in der Tiefe gut ausgearbeitet. Tochter Laura Karasek streitet auch gar nicht ab, dass dieser beschriebene Vater Hellmuth Karasek ist, der hier mit all seinen Widersprüchen und nerdigen Eigenschaften liebevoll charakterisiert wird. Helena, die sich abnabeln muss vom übergroßen Vater, einen eigenen Weg gehen muss, die sich weniger die Frage nach Kind und Karriere stellt, die plötzlich schwanger ist. Einer verlässt die Welt und einer tritt in sie ein. Aber auch sie bekommt sofort die Schelle aus der Chefetage, nachdem sie ihre Schwangerschaft anmeldet: Eigentlich kann sie gleich zu Hause bleiben. Schwangere sind nicht in der Lage hart zu arbeiten; ihr Projekt wird sofort an einen männlichen Kollegen übergeben … «Warum kann man von Menschen, die einem am nächsten stehen, Komplimente schwerer annehmen? Warum sucht man die Bestätigung von anderen? Warum möchte man neue Aufmerksamkeit und neue Menschen für sich gewinnen?» Rebecca schwankt immer zwischen Karriere und Kinderwunsch, ihre genaue Berufsbezeichnung bleibt wage – irgendwo im mittleren bis höheren Management. Sie will ein Kind. Ihr Job macht ihr eigentlich Spaß. Würden sie nicht manche Kollegen mobben, müsste sie nicht ständig den Grabblern aus dem Weg gehen … Nach vielen Fehlgeburten kommt nun eine anstrengende ärztliche Behandlung dazu. Eines Tages kommt ein Angebot … Diese Figur hat mich manchmal zur Verzweiflung gebracht. Anpassungsfähig bis sonst wohin, sie lässt sich erniedrigen, antatschen von Kollegen, von Männern aus den Chefetagen, bloß nichts falsch machen, damit man seinen Job nicht verliert, nicht als Jammerlappen auffällt. Das Problem hatten wir schon vor vierzig Jahren – manche weinen zu Hause, haben Angst, sich zu wehren. Ich kann es verstehen, denn in der Regel liegt es in Erziehung. Ich persönlich hätte auch dem Papst eine geknallt, wenn er mir aufs Knie gefasst hätte. Sich wehren! Öffentlichkeit ist der beste Weg – ich kenne keine Karrierefrau, der das geschadet hat – das nur am Rande. Rebecca lässt sich auch auf andere Weise von Männern im Betrieb erniedrigen, wehrt sich nie, denn man will ja nicht auffallen, sich bloß nicht beschweren. Da muss sie durch. Der Druck von der Mutter, die meint, eine Frau hae Kinder zu bekommen. «Wie schade, dass die Gier nach Sex, Schnaps und Schweinebraten bei Frauen so wenig Zuspruch findet. Frauen dürfen nicht gierig sein und wenn dann nur nach Pilates oder Edamame, dem Hirse-Shake oder Schuhen.» Maxie ist die erfolgreiche PR-Frau, arbeitet in einer PR-Agentur, ist mit einem erfolgreichen Kardiologen verheiratet. Sie liebt ihren Mann, ist zufrieden, allerdings ist ihr Mann kaum zu Hause, denn er richtet sein Hauptengagement auf den Job. Er möchte keine Kinder haben. Jetzt noch nicht. Vielleicht später, sein Ziel ist ein Traumjob in den USA. Frau muss die gleiche Meinung haben, was sonst? Auf einer Familienfeier trifft Maxi auf den Endfünfziger Robert, genannt Bobby. Er verliebt sich Hals über Kopf in sie und schenkt Maxi am nächsten Tag einen Aston Martin. Und weil sie ihn nicht annehmen will, gibt es dazu ein Apartment mit Garage. Eine toxische außereheliche Beziehung beginnt. Maxie war für mich nicht ganz zu fassen. Einerseits bestätigen ihre Chefs, sie sei einer der besten Mitarbeiter*innen, andererseits vernachlässigt sie ständig ihre Arbeit, lässt alles liegen und stehen, um mit Bobby ins nächste Vergnügen zu fliegen. Das passt nicht. Ihr Mann bekommt rein gar nichts mit – ist ja nie zu Hause. Das war für mich auch nicht ganz plausibel. Aber Maxis Kapitel sind natürlich die spannendsten. Maxis Selbstwertgefühl benötigt die Bewunderung und Emotionalität. Bobby überschüttet sie mit Liebe und Exessivität, mit Dingen – sie bewegen sich immer am Rand des Abgrunds. Bobby ist immer unter Strom, voller Ideen, voller Sex und Maxies Mann kommt farblos daher, glänzt mit Abwesenheit. Überhaupt, Maxi ist ein, die kann man anquatschen – gibt man ihr Aufmerksamkeit, springt sie an. «Es ist schlimm, dass Frauen immer irgendwie alles falsch machen›, sagt Maxi. ‹Ich erlebe es doch dauernd! Wenn du Anfang dreißig bist und keine Kinder haben willst und lieber arbeiten, bist du sonderbar, abartig. Wenn du Kinder hast und trotzdem arbeitest, vernachlässigst du deine Kinder und bist karrieregeil. Eine in Vollzeit arbeitende Frau ist kaltherzig, ein in Vollzeit arbeitender Mann ist ein Held, der seine Familie ernährt … Mütter, die arbeiten, haben etwas Widernatürliches … Wir sollen lieblich sein. Nicht laut oder forsch, nicht abwesend oder zu ehrgeizig.» Lauer Karasek benutzt eine emotionale Sprache, lässt den Innenblick der Figuren offenlegen. An manchen Stellen rauscht der Text nur so dahin – spannend zu lesen. Gefühlswelten von Frauen, die Schwierigkeit der Doppeldeutigkeit – bestehen zu können unter Männern. Schwangerschaft als das Ende der Karriere, mit einer Schwangerschaft und Mutterschaft abgestellt zu sein. Sich ständig messen müssen, auch unter Frauen. Ein guter, spannender Roman! Das einzige, was mich gestört hat, sind im Grunde die immer gleichen Figuren, die schon wieder alle der privilegierten Welt entsteigen. Durch Eltern und Bildungsinstitutionenen ist die Karriere vorbestimmt … Liebe Frau Karasek, ich hätte gern mal etwas vom Durchschnitt gelesen. Zum Beispiel: Mit BWL-Studium auf der Lebensmittel-Einzelhandelsleiter von der Filialleiterin zur Bezirksleiterin die Treppe nach oben, oder Karriere als Bauingenieurin – der Stoff, aus dem die Albträume sind. Und wie der Eichbornverlag auf de Idee kommt, das Buch noch in die Jugendliteratur einzuordnen, Altersempfehlung: ab 16 Jahren, das ist mir ein Rätsel. Laura Karasek wurde 1982 in Hamburg geboren. Die Tochter Hellmuth Karasek und seiner zweiten Ehefrau, der Journalistin Armgard Seegers. Nach ihrem Studium der Rechtswissenschaften arbeitete Laura Karasek in einer großen Kanzlei in Frankfurt am Main, wo sie zurzeit mit ihrem Mann und ihren Zwillingen lebt. 2012 erschien ihr erster Roman «Verspielte Jahre». Ihr zweites Buch «Ja, die sind echt. Geschichten über Frauen und Männer» handelt von Selbstzweifeln, Größenwahn, Dates und Peinlichkeiten. Der Tod ihres Vaters war 2015 für Laura Karasek ein tiefer Einschnitt. Heute hat sie ihre Anwaltskarriere aufgegeben, moderiert auf ZDFneo die Talkshow «Zart am Limit», widmet sich dem Schreiben.

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