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wandanoir

Posted on 9.10.2020

Erinnert mich an Edelbauers "Flüssiges Land". Noch nie habe ich nach der Lektüre eines Romans so lange gezögert, eine Rezension dazu zu schreiben und auch jetzt, wo ich es versuche, fürchte ich, ich werde weder dem Roman noch dem Autor noch meinem eigenen Empfinden durch die Rezension wirklich gerecht werden können. Was ich als erstes ganz sicher sagen kann: Dieser Roman ist kein einfach zu lesender, sondern ein schwierig zu verstehender Roman. Herausfordernd in jeder Hinsicht, inhaltlich und sprachlich. Sprachlich bekomme ich das Buch am leichtesten zu fassen: Überbordend. Schachtelsätze. Normative Einschübe ohne Ende. Diese Einschübe, diese Zusatzinformationen, diese Details vermögen es mit Leichtigkeit, eine bestimmte Atmosphäre zu vermitteln. Moder. Schimmel. Ein paar verrückte Aussteiger tummeln sich in Bars. Eine Gruppe Menschen irrt in einem verwahrlosten Museum herum und sieht Gespenster. In Sichtweise liegt ein gestrandetes Kreuzfahrtschiff im Meer. Man befindet sich auf einer Insel auf den Malediven. Der Meeresspiegel ist angestiegen. Man watet in Gummistiefeln oder barfuß durch die Straßen, mitunter hüfthoch im Wasser. In einem Keller eines wahrscheinlich öffentlichen Gebäudes ist ein Mensch an einen Stuhl gefesselt, während das Grundwasser allmählich steigt. Emotionslose Betrachtungen und Gedanken desselben. Assoziationen. Erinnerungen. Hier hätte ich Emotion und Todesangst erwartet. Ist nicht. Was ich als zweites sicher sagen kann, ist, dass die gefühlt Hundertausende an Details, die der Autor in seine Schachtelsätze packt, für mich keinen (Mehr)Wert haben. Nach einiger Zeit beginne ich den Satz, stochere mich durch das Wortgestrüpp, suche den Hauptsatz. Was heißt das? Im Deutschen steht das Verb am Satzende. Man liest also den Anfang des Satzes, ignoriert den ganzen Einschubkram bis man das Verb findet (das dauert! Findet Nemo.) und liest dann den Satz zu Ende. Die Einschübe vermitteln vorrangig Atmosphäre. Mehr nicht. Man bräuchte sie nicht. Ich brauche sie nicht. Wer braucht sie? Ach ja, stimmt, sie vermitteln Atmosphäre. Während der Lektüre empfinde ich dasselbe Lesegefühl, das mir auch „Flüssiges Land“ von Raphaela Edelbauer bescherte: Kafkaeske Sinnlosigkeit. Fluides Schweben im Raum. Weg als Ziel. Kein Ziel in Sicht. Was ich also als drittes sagen kann, ist, dass hier eine surrealistische Umgebung, ein surrealistischer Aufbau und eine kafkaeske Annäherung an Literatur vorliegt. Nun, ich habe Kafka immer schon abgelehnt. Aber bei aller Ablehnung, ist Kafka und auch seine Schüler sind es, in irgendeiner Weise auch faszinierend, experimentell und neugierig machend. Vielleicht sogar aufregend? Gut, es ist eine gemilderte Ablehnung, vielleicht nur eine persönliche Abneigung. Zum Inhalt, das ist mein vierter Beitrag. Er nicht entscheidend. Das Meiste, was passiert, bleibt unklar, es wird angedeutet, nichts gesagt, worauf man den Finger legen könnte. Man rät und interpretiert. Und das ist fünftens das, was ich rate und interpretiere: Auf der Insel herrscht Endzeitstimmung. Die Welt geht unter. In dieser aufgeladenen Atmosphäre von Verzweiflung, unbegründeter Hoffnung, Glaube an irgendwas, Geister? der Atmosphäre von Moder und Betäubung (es kommt nicht mehr darauf an, was man tut) theoretisieren die üblichen Spinner und beruhigen sich mit ihren Weltverschwörungsfantasien. Andere suchen Dinge oder Menschen, die sie nicht finden können. Denn in Wirklichkeit herrscht eine Diktatur einer nicht näher bestimmten Miliz, die sich durch den Drogenverkauf von „Luna“ bereichert. Und die auf ihrem Kreuzer ein Massengrab errichtet haben. Dort werden alle Leute hingebracht und hingerichtet, die in irgendeiner Weise die Wege dieser Gruppe queren. Basta. Das alte Lied von missbräuchlicher Macht. In summa: zu wenig. Wer der Kerl im Keller ist, bleibt offen, gut, man hat seine Vermutungen, aber keine Evidenz. Fazit: Ich schätze die Idee. Doch für mich war das nichts. Ich gebe einen persönlichen Einzelpunkt. Vornehmlich wegen des mich störenden Wortgestrüpps. Wäre der Roman sprachlich straighter aufgestellt und damit besser lesbar geworden, wäre ich mit meiner Bewertung sehr viel höher gegangen. Aber Malé ist experimentelle Literatur, die wie die experimentelle Malerei auch durchaus ihre Berechtigung hat. So kommen zwei weitere blaustrümpfige Anerkennungspunkte dazu. Kategorie: Moderne und anspruchsvolle Literatur Verlag: Fischer, 2020 Auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2020

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