Profilbild von Fina

Fina

Posted on 3.10.2020

Gestaltung: Ich finde das Cover des Buches wunderschön. Es war für mich eine willkommene Abwechslung, mal ein Hardcover ohne Schutzumschlag zu haben, bei dem ich das Cover beim Lesen immer mal wieder ansehen kann. Dabei ist mir aufgefallen, dass es einfach perfekt zum Inhalt des Buches passt. Ich liebe den geheimen Blickwinkel aus dem Gebüsch heraus, den der/die Leser*in auf dem Cover einnimmt und hinter Jinny auf das Meer und das kleine Boot sieht. Ich habe mir die Pflanzen auf der Insel genauso exotisch vorgestellt, wie sie hier auf dem Cover abgebildet sind und somit versprüht die Gestaltung genau das Flair, das man ebenfalls beim Lesen des Buches verspürt. Innendrin ist das Buch recht normal aufgebaut, an den Kapitelanfängen ist immer eine kleine Illustration neben der Kapitelnummer gezeichnet, was ich sehr hübsch fand. Ich kann zu der Aufmachung des Buches nur Gutes sagen. Darum geht's: Neun Kinder leben auf einer Insel und haben sich dort ein sehr geregeltes System aufgebaut. In regelmäßigen Abständen kommt ein kleines grünes Boot vorbei, in dem ein neues Kleinkind, ein sogenanntes Mündel sitzt. Dieses kommt auf die Insel und im Gegenzug muss sich der/die Älteste in das Boot setzen und mit ihm die Insel verlassen. So passiert es wieder und wieder, niemand hinterfragt diese Ordnung. Bis Jinny sich eines Tages weigert, in das Boot zu steigen und als zehntes Kind auf der Insel bleibt. Doch was für Konsequenzen wird diese Entscheidung haben und wann ist der richtige Zeitpunkt zu gehen? Idee/Umsetzung: Ich muss gestehen, dass ich mit bestimmten Erwartungen an dieses Buch herangegangen bin. Geschichten, die auf einer Insel spielen, erinnern mich häufig an die Serie "Lost" oder Bücher wie "Isola" von Isabel Abedi, die ich mit großer Spannung, Überraschungsmomenten und Geheimnissen verbinde. Die Idee mit dem Boot, das ein neues Mitglied in die Gruppe bringt, ist sehr ähnlich zu der Box in "Maze Runner" oder auch "Die Auserwählten im Labyrinth" von James Dashner, in der immer wieder neue Mitglieder in die Gruppe kommen, ohne sich an ihr bisheriges Leben erinnern zu können. All diese Verknüpfungen haben in mir die Lust auf ein Abenteuerbuch geweckt. Diese Erwartungen konnte "Insel der Waisen" leider nicht erfüllen. Es handelt sich um ein sehr ruhiges Buch, in dem die erste Hälfte insbesondere daraus besteht, das Leben auf der Insel zu erklären. Wir kommen gleichzeitig mit dem Neuankömmling Ess auf der Insel an und bekommen quasi gemeinsam mit ihr alles gezeigt - Was es zu essen gibt, welche Aufgaben jeder übernimmt, welche Orte es auf der Insel gibt, wo gefahren lauern und welche Spiele gespielt werden. Das hat erst mal Spaß gemacht, wurde mir persönlich aber leider recht schnell zu langweilig, da es nicht besonders spannend war. Der im Klappentext versprochene Regelbruch von Jinny, der die Gruppendynamik erheblich ins Wanken bringt, kommt leider erst nach ca. 150 Seiten, wobei ich es einerseits schade fand, dass das bereits auf dem Buchrücken verraten wurde, und andererseits, dass es so lange dauert, bis solch eine Wendung endlich mal für etwas Spannung sorgt. Ab diesem Zeitpunkt nimmt die Geschichte etwas mehr Fahrt auf, da man darauf wartet, zu erfahren, welche Konsequenzen Jinnys Verbleib auf der Insel nach sich zieht und wie die Insel "sich gegen sie wendet". An dieser Stelle möchte ich nicht zu viel verraten, aber dass die Insel "sich gegen die Kinder wendet", finde ich tatsächlich etwas zu hoch gegriffen. Ich habe auch an dieser Stelle eine größere Wendung erwartet, obwohl die Geschichte in vielen Bereichen weiter ihren bisherigen Lauf nimmt. Schreibstil: Den Schreibstil der Autorin habe ich als sehr angenehm, leicht und gut verständlich wahrgenommen. Besonders gefallen haben mir die Einblicke in Jinnys Gedankenwelt und wie sie manchmal mit sich haderte, wenn es um Entscheidungen für Ess ging oder, ob sie die Insel nun verlassen sollte oder nicht. Figuren: Insgesamt sind die Figuren sympathisch gewesen und ich habe sie gerne begleitet. Eine große Stärke des Buches ist die Darstellung der Gruppenkonstellation, wie sie miteinander interagieren und im Laufe der Zeit jede*r seinen/ihren Platz in der Gruppe eingenommen hat. Wenn ein neues Mündel hinzukommt und jemand die Insel verlässt, verschieben sich die Beziehungen wieder etwas, was ich aus sozialpsychologischer Sicht sehr spannend zu beobachten fand. Ich war mit Jinny nicht immer einer Meinung, aber habe ihre Gefühlswelt durchaus nachvollziehen können und bin der Überzeugung, dass sie für Ess und die Gruppe im Großen und Ganzen immer nur das Beste wollte. Außerdem macht sie eine schöne Persönlichkeitsentwicklung durch, was mir gut gefallen hat. Bis auf Jinny und Ess sind die anderen Figuren etwas blass geblieben, da sie aber nicht den Mittelpunkt der Handlung ausgemacht haben, war das nicht weiter schlimm. Was mich am meisten enttäuscht hat und worauf ich bis zum Schluss hoffte, waren Antworten. Es gibt zwischendrin ein paar Hinweise darauf, dass die Kinder auf der Insel vielleicht doch keine Waisen sein könnten, was Fragen nach der Herkunft der Kinder, ihrem vorherigen Leben und dem Ursprung dieser Insel und dem Grund für ihr Leben dort aufwarf. Ohne zu viel zu verraten muss ich einfach loswerden, dass es auf diese spannenden Fragen leider keine Antwort gibt. Das Buch ist insgesamt eher eine ruhige Geschichte und die Insel mit der hadernden Jinny eine Metapher dafür, wann es richtig ist, zu gehen, den richtigen Zeitpunkt dafür abzupassen und die Angst vor dem Ungewissen zu überwinden. Das sollte man meiner Ansicht nach unbedingt beherzigen, bevor man mit falschen Erwartungen an das Buch herantritt (so wie ich). Fazit: Nicht jedes Buch kann jedem gefallen, und so war "Insel der Waisen" leider kein Buch für mich. In der Erwartung einer spannenden, abenteuerlichen Geschichte auf einer fernen Insel habe ich dieses Buch begonnen und musste schnell feststellen, dass das Buch eher ruhige, leise Töne anschlägt, philosophische Fragen stellt und hinsichtlich Verlust und dem Mut zur Veränderung zum Nachdenken anregt. Wer so etwas gerne mag, für den könnte dieses Buch etwas sein. Ob man mit 12-15 Jahren, wie es die Altersempfehlung angibt, solch eine Geschichte erwartet, kann ich nicht einschätzen, aber mich hat der Klappentext leider etwas in die Irre geführt. Am besten lest ihr mal in eine Probe rein, um zu entscheiden, ob "Insel der Waisen" etwas für euch sein könnte.

zurück nach oben