mabuerele
„...“Er hat uns verwechselt, Lili.“ Hat er das? Fragen drängen aus der Tiefe meines Bewusstseins empor und überschwemmen mein Denken. Doch die Müdigkeit macht mich schwerfällig. Ich kann nichts ordnen, das verknotete Wollknäuel in meinen Kopf nicht entwirren...“ Es sind Lilis Gedanken zwischen Traum und Wirklichkeit. Einerseits bekommt sie die Gespräche um sich herum mit, anderseits kann sie momentan nicht interagieren. Was war passiert? Die Autorin hat einen fesselnden Psychothriller geschrieben. Die Geschichte zeichnet sich durch einen hohen Spannungsbogen aus. Sie beginnt mit einem Traum, mündet in einem Alptraum und führt mich als Leser dann an den Beginn der Ereignisse. Der Schriftstil ist ausgefeilt. Er erlaubt eine Blick in die Psyche der Protagonisten und zaubert dort Bilder hervor, die das Geschehen auf eine ganz besondere Art reflektieren. Fast regelmäßig wechselt ab dem zweiten Teil der Erzähler. Die Zwillinge Lili und Anne haben bei einem gemeinsamen Urlaub Paul kennengelernt. Anne ist die Attraktivere von beiden. Sie Selbstbewusstsein ist deutlich besser ausgeprägt als das von Lili. Letztere ist ruhig und ausgeglichen und hat eher ein mangelndes Selbstwertgefühl. Eine Freundin hat das mal so formuliert: „...Anne ist der strahlende Stern, neben dem Lili als Sternschnuppe verglüht...“ Beide wollen Paul. Der entscheidet sich aber für Lili. Sie ahnen nicht, wie Pauls dunkle Seite ihr Leben für immer verändern wird. Anne sieht die Gefahr eher, doch Lili macht die Liebe blind. „...Das erste Mal ist es so, dass nicht sie,sondern ich das große Los ziehe, und das kann sie mir nur schwer verzeihen. Dennoch sieht sie mich auf eine Art an, die mich irritiert. […] Ist es Mitleid?...“ Es braucht Zeit, bis die Zwillinge begreifen, dass sie nur durch gemeinsames Handeln eine Chance auf ein selbstbestimmtes Leben haben. Doch Paul bleibt ihnen auf der Spur. Zu den eindringlichsten Szenen gehören Lilis Gedanken im Koma. Hier stellt sie sich der Vergangenheit auf neue Weise und wird dabei in eine Welt katapultiert, aus der sie sich gedanklich nur sehr langsam befreien kann. „...Da ist diese Mauer, manchmal undurchdringlich grün wie Dschungelgewächs, dann wieder breit und grau wie eine dicke Wolkendecke, tief hängend und gewitterbereit. Irgendetwas sagt mir, dass ich sie überwinden muss...“ Hier zeigt sich das Sprachgefühl der Autorin, ihr gekonnter Umgang mit passenden Metaphern und ihre Fähigkeit, Emotionen durch Bilder auszudrücken. Eingebettet in die Geschichte wird eine Kindheit voller Aggressionen, die tiefe Spuren hinterlassen haben. Auch für den Leser ist am Anfang nicht klar, wer eigentlich bei den Geschehen welcher Zwilling ist. Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Was mich allerdings betroffen macht, ist die Tatsache, dass die Polizei sich eher durch Inaktivität auszeichnet.