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jankuhlbrodt

Posted on 27.9.2020

Es handelt sich bei „ Die Wahrheit ist“ um die schonungslose Selbstauskunft des israelischen Schriftstellers Eshkol Nevo, der 1971 in Jerusalem geboren wurde. Und das könnte die Wahrheit sein. Es liegen ihm, also dem Autor, der der Protagonist ist, Fragebögen vor, die auszufüllen man ihn gebeten hat. Es sind Fragen, die ein literaturinteressiertes Publikum einem erfolgreichen und geschätzten Romancier stellen würde. Fragen also, die vor dem Ende einer literarischen Produktion nicht haltmachen, die also durchaus gerne und massiv ins Persönliche kippen, den Autor dazu zwingen, den intimen Raum hinter seiner Autorenexistenz freizulegen. Der Autor begegnet seinem Publikum sozusagen in legerer Alltagskleidung, aber als Beichtender, und führt es durch seine privaten Gemächer oder Hilfsgemächer. So ehrlich wie er dem Publikum gegenüber sein soll, so ehrlich ist er einmal seiner Frau gegenüber gewesen, und hat ihr von einer Affäre berichtet, die er während einer Lesereise in Südamerika hatte. Seine Frau aber war weniger beeindruckt von seiner Ehrlichkeit als vielmehr erbost über seine Treulosigkeit und warf ihn aus der gemeinsamen Wohnung. Der Autor, von dem der Autor berichtet, der sich im Eheleben eingerichtet hatte, ist daher gezwungen, sich neu zu erfinden und das fällt ihm nicht leicht. Aber um sich zu erfinden, oder zu finden, oder um sich neu zu erfinden, hat er die Fragebögen. In der Beantwortung der Fragen tut er zweierlei. Er entwirft eine Poetik seines Schreibens, oder des Schreibens romanhafter Prosa überhaupt, indem er die Genese des Stoffes beschreibt und beschreibend vorantreibt, und er entwickelt im gleichen Maß den Stoff, den er als seine Biographie vorstellt. Die Wahrheit ist also, dass der Autor des Buches genauso heißt, wie der Autor im Buch. Und die Wahrheit ist auch, dass es zwei Personen sind, Autor und Autor. Zwei Personen, die im Text einander begegnen. Das ist in der postmodernen Literatur nicht selten. Ich erinnere mich zum Beispiel gern an die Passagen in Paul Austers frühen Romanen, in denen der Erzähler einem Paul Auster begegnete. Da war Auster noch Auster, könnte man sagen, da war diese Art Selbstbegegnung sehr überraschend für Autor und Leser, und ich hatte den Eindruck, sie war alles andere als geplant. Die Wahrheit ist, dass Eshkol Nevo die Schraube der Postmoderne ein wenig zurückdreht und damit den, dem er begegnet, den er dem Leser begegnen lässt, vom Schemenhaften befreit, das ihm bei Auster noch anhängt. Nevo füllt die Person, die seinen Namen trägt und die der Protagonist des Textes ist, an, beziehungsweise er betrachtet den Autor dabei, wie er sich selbst mit Leben beschichtet. Wie er eine Familie für sich gründet, sich und die Familie im Alltag verliert und letztlich im Verlieren sich selbst und die anderen wiederfindet. Im Hintergrund spiegelt das Sterben des besten Freundes den lauernden Tod und die eigene Todesangst. Die Wahrheit ist, dass wir als Leser wissen, dass das alles wahr sein könnte. Wahr ist darüber hinaus, dass der Roman von Markus Lemke aus dem Hebräischen übersetzt wurde.

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