Profilbild von hermunduh

hermunduh

Posted on 22.9.2020

Die Westberliner Ulknudel ist zurück Gemeint ist niemand anderes als Thomas Kapielski, Kreuzbergs berühmtester Nasenflötist und Allroundkünstler, der in den 90ern das deutsche Feuilleton unsicher machte. Nun wirft er in regelmäßigen Abständen altersstarrsinnige Bücher übern Zaun, in denen er seine aus der Zeit gefallenen Weltsicht ausbreitet, um des Lesers Gunst zu erlangen. Der Suhrkamp Verlag hat dem Außenseiter des Kulturbetriebs ein angemessenes Ruhekissen platziert, von dem aus er das rostige Fallbeil in den kalten Kosmos schwingt. Sein neustes Werk, formal ein bunter Mix aus Karl Dall, Kant und Goethe, widmet sich den Schrecknissen, die einem hochanständigem Klinkenputzer auf einer Zugfahrt (und Drumherum) von Schweinfurt nach Grollstadt-Sauger geschehen können – wenn nicht müssen! Frowalt Hiffenmarkt, ein Vertreter für seltsame Sanitärartikel, berichtet in seinen Kerkeraufzeichnungen wohltuend über seine Geisterwelt, nebst treuer Frau Dietlind (oder so ähnlich) und seinem großen Hobby, dem Aufschreiben! Genau das bietet ihm nämlich Schutz in einer bitterbösen Welt, die vor Feminismus und Sozialismus nur so strotzt und dem recht einsamen Denker und Bürstenverkäufer ein Greul geworden ist. Zuspruch und Balmung findet er, neben diversen treuen Kotfliegen, bei seinem grundseltsamen Verhörer und Herzenspolizisten Röhr. Der, ein ehemaliger Kommunist, erhebt sich mit Frowalt in eine Metaebene aller guten Dinge, die einen alten weissen Mann glücklich machen: Lektüre aus vergangenen Jahrhunderten, Bier, dankbare Frauenarme, eine Welt ohne Sozialismus und Fußball (ungefähre Reihenfolge). Geschulte Kapielskileser werden ihre wahre Freude haben, weil der Meister immer wieder versteckte Botschaften seines Frühwerks hervorlugen lässt. Auch diverse Kneipenkumpane und Kleinkunstschaffende verwichender und Westberliner Tage erscheinen bisweilen als trunkene Geister. Das liebliche Buch empfehle ich über einen längeren Zeitraum häppchenweise zu naschen. Dem Neuleser rate ich vor der Lektüre einen mehrjährigen Krashkurs, um den Kapielskischen Kosmos kapieren zu können.

zurück nach oben